Die Regionalwert AG Hamburg wurde 2014 gegründet, um in der Metropolregion Hamburg und in Schleswig-Holstein eine „enkeltaugliche“ ökologische Landwirtschaft zu befördern. Es geht um gute Lebensmittel aus der Region für die Region und um faire Preise für die Erzeuger. Mit dem Geld der inzwischen 1.200 Aktionäre wird in Partnerbetriebe investiert. Die insgesamt rund 45 Bauernhöfe, Lebensmittelhandwerker, Gaststätten, Händler und weitere kooperieren auch untereinander. Wie wertvoll solch ein regionales Netzwerk gerade in Krisenzeiten ist, erklärt Vorstand Ulf Schönheim. 

Ulf Schönheim, Vorstand der Regionalwert AG Hamburg (Foto: Uta Gleiser photography)

Herr Schönheim, die Landwirtschaft ist systemrelevant, und gegessen und getrunken wird immer! Geht es immerhin den Bauern und Lebensmittelproduzenten Ihres Netzwerks auch in der Corona-Krise gut?

Das ist sehr unterschiedlich: Einigen Partnern ist erstmal ein Teil oder sogar Großteil des Geschäfts weggebrochen. De Öko Melkburen aus Lentförden zum Beispiel haben regelmäßig Schulen und Kitas beliefert, mit circa 500 Liter Milch und 200 Kilo Joghurt pro Woche und mit Rindfleisch. Alles storniert seit den Schließungen am 16. März. Beim Uelzener Weidehuhnzüchter Odefey & Töchter wurden in der ersten Woche fast alle Hühner abbestellt. Kein Wunder, wenn die Stammklientel zu circa 90 Prozent aus Gastronomie und Hotellerie besteht. Die Direktvermarkter dagegen profitieren im Moment sogar, Biokisten-Lieferservices boomen, und auf Wochenmärkten brummt das Geschäft. 

Und wie ist die Lage in der Hobenköök im Hamburger Oberhafen?

Durchwachsen. Zwei Standbeine, Restaurant und Catering, mussten in die Zwangspause, die meisten Angestellten daher in Kurzarbeit geschickt wurden. Aber die Markthalle, die auch Produkte vieler unserer Partnerbetriebe anbietet, hat mehr Zulauf. Thomas Sampl (Koch und einer der drei Geschäftsführer, Anm. d. Red.) erzählte sinngemäß: Die Leute würden ihnen zwar nicht die Bude einrennen, dafür kauften die einzelnen Kunden deutlich mehr! 

Aber die Hamsterphase ist doch wohl vorbei?

Ich würde das nicht hamstern nennen. Doch viel weniger Außerhaus-Verpflegung in Kantinen, Mensen, Cafés und Co. bedeutet logischerweise, dass die Kühlschränke und Speisekammern zuhause umso praller gefüllt werden. 

Stimmt. Ist denn die Nachfrage nach frischen, nachhaltig erzeugten Lebensmitteln aus der Region seit Corona weiter gestiegen? 

Ja, deutlich! Vor allem frisches Saisongemüse kaufen die Menschen wie verrückt, berichten unsere Marktfahrer. 

Was, denken Sie, ist der Grund – mehr Bewusstsein für gesundes Essen? 

Sicher, Bio-Gemüse, das nicht weit gereist ist, schmeckt besser, ist nährstoffreicher und gesünder. Außerdem dringt immer mehr durch, dass wir auf unsere Lebensgrundlagen aufpassen müssen: Böden, Wasser, Artenvielfalt und Klima. Und es geht um Transparenz, die Leute wollen wissen, wo ihr Essen herkommt, wer es gemacht hat und wie.

Die Regionalwert AG Hamburg setzt sich ja für ein Stück Ernährungssouveränität vor der eigenen Haustür ein. Echte Regionalität heißt, dass der Kohlrabi nicht nur hier gewachsen ist, sondern dass auch das Saatgut und der Dünger aus der Region stammen. Oder dass Tiere Futter aus heimischem Anbau bekommen, statt Soja aus Südamerika. Die Unabhängigkeit von globalen Warenströmen macht die regionale Land- und Lebensmittelwirtschaft auch krisenfester, wie sich gerade jetzt zeigt. 

Kommt der Gast nicht zur Suppe, kommt die Suppe zum Gast: die „No Show Soup“
Nur beste Zutaten landen in der Rote-Bete-Suppe der Gaststätte Zur Erholung

Inwiefern hilft es, dass Ihre Partner in einem großen Netzwerk organisiert sind? 

Kooperationen unter unseren Partnerbetrieben, vom Acker bis zum Teller, sind ein Kern des Regionalwert-Konzepts. Der rege Austausch und die gegenseitige Unterstützung sind wertvoller denn je. Und ich bin begeistert, wie wahnsinnig schnell man in diesem Netzwerk eine Idee zur Umsetzung bringen kann! Beispiel „No Show Soup“: Von der Idee bis zum fertigen Produkt, das seit 19. März im Verkauf ist, vergingen nur fünf Tage! Gastronomen sprechen von „No Show“, wenn Gäste trotz Buchung nicht erscheinen. Nach dem Motto „Kommt der Gast nicht zur Suppe, kommt die Suppe zum Gast“, hat die Gaststätte Zur Erholung in Uetersen eine Rinderkraftbrühe und Hühnerbouillon kreiert, inzwischen gibt es auch Rote-Bete-Suppe, Karotten-Ingwer-Suppe und Rindergulasch im Glas. Drin stecken Zutaten von Höfen des Netzwerks wie Elbwild, Hof Koch, Groth-Hof und Odefey & Töchter. Auch das tolle Etikett ist „hausgemacht“, das hat unsere Agentur Mutter designt.

Die „Liekedeeler“- Grundversorgungskiste für Hamburg (Foto: Robert Nordmann)

Die Not hat noch eine Erfindung hervorgebracht, erzählen Sie mal von der „Liekedeeler“-Kiste für Hamburg – und woher der Name stammt!  

Liekedeeler ist plattdeutsch und bedeutet „Gleichteiler“, ein anderer Name der Vitalienbrüder, die ihr Beutegut solidarisch untereinander aufteilten. Der Verkauf der Kisten soll Betrieben, die jetzt unter Umsatzeinbrüchen leiden, solidarisch unter die Arme greifen. Sie sind vollgepackt mit gesunden Grundnahrungsmitteln, vom Joghurt von der Meierei Horst bis zum Vollkornbrot von Effenberger, auch fertige Gerichte sind dabei. Vorteil für die Kunden: Sie bekommen die Kiste bequem und kontaktfrei nach Hause geliefert. 

Klimaverträgliche Auslieferung der „Liekedeeler“- Kiste mit E-Transportfahrrädern von Tricargo (Foto: Robert Nordmann)

Wie läuft der Verkauf?

Gut! Allein in der KW 14 wurden 1.000 Gläser Suppe verkauft, die Maximalmenge. Danke an alle, die bei Erzeugern und Händlern des Netzwerks einkaufen! Dazu gehören natürlich auch unsere Aktionäre. Die erfolgreiche vierte Aktienausgabe bis Ende März hat mich persönlich sehr stolz gemacht und optimistisch gestimmt. 

Der Blick aufs Wetter stimmt weniger positiv, eine erneute Dürre droht! Was können wir aus der Corona-Krise für den Umgang mit der Klimakrise lernen? 

Wir haben gesehen, dass der Staat, wenn er denn will und muss, schnell und effektiv handeln kann. Und die allermeisten Menschen haben mitgezogen. Das ist auch in der Klimakrise notwendig. Wir brauchen eine weitere Regionalisierung und Ökologisierung unseres Ernährungssystems – und einen grünen Umbau der gesamten Wirtschaft. Je eher, desto besser!

www.regionalwert-hamburg.de

Hier gibt es die „Liekedeeler“-Kiste: 
https://shop.regionale-zukunft.de/

Und hier die „No Show Soup“, handgemacht in Gourmetqualität:
http://www.zur-erholung-uetersen.de/

vor Ort:

  • Gaststätte Zur Erholung, Mühlenstr. 56, Uetersen
  • Edeka Ermeling, Gerberplatz, Uetersen
  • Rellinger Hofladen, Pinneberger Str. 38, Rellingen
  • Hobenköök, Stockmeyerstraße 43, Hamburg
  • Stückgut, Am Felde 91, Hamburg
  • Hof Wurzelreich, Achterdeich 4a, Stelle 

Online-Bestellung:

  • Liekedeeler – Regionale Zukunft
  • Frischepost Hamburg
  • Wildwuchs Brauerei
  • Odefey & Töchter
  • Elbwild
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