von Andrea Henkel

Wenn es um den Klimawandel geht, ist Mojib Latif einer der gefragtesten Wissenschaftler Deutschlands. Seit 40 Jahren ist er in der Klimaforschung aktiv, lehrt als Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, ist Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und häufiger Gast in zahlreichen Talkshows. In der Lebensart verrät er, wo aus seiner Sicht die Probleme im Kampf gegen den Klimawandel liegen und wie wir die Entwicklung noch abfedern können.

Sein Weg führte Mojib Latif erst im zweiten Anlauf zur Meteorologie. Nach seinem Abitur studierte der gebürtige Hamburger mit pakistanischen Wurzeln zunächst zwei Jahre Betriebswirtschaftslehre, doch seine eigentliche Leidenschaft galt schon immer den Naturwissenschaften. Dass er schließlich seinem Herzen folgte und das Fach wechselte, war ein großes Glück. Seit vier Jahrzehnten trägt der Meteorologe mit seinen Erkenntnissen maßgeblich zur Diskussion um den Klimawandel bei – stark geprägt von seinem Doktorvater, dem Hamburger Physiker und letztjährigen Nobelpreisträger Klaus Hasselmann. Vor Kurzem erschien sein neuestes Buch „Countdown. Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können”. Was die Zukunft der Menschheit betrifft, so schreibt er darin, schwanke er zwischen Apokalypse und Hoffnung. „Ich bin innerlich zerrissen”, sagt Latif. „Einerseits bin ich Wissenschaftler und muss die Dinge so sehen und kommunizieren, wie sie sind. Auf der anderen Seite bin ich aber auch Mensch, und ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben.”

Wir sind wie Geisterfahrer

Die Fakten an sich geben allerdings leider wenig Grund zur Hoffnung. Seit Jahren steigen die Emissionen von Treibhausgasen, 2021 erreichte der Wert mit weltweit 60 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten einen traurigen Höhepunkt. Immer mehr Berichte von Klimakatastrophen flimmern uns von den Fernsehbildschirmen entgegen. Auch in Norddeutschland ist der Klimawandel längst angekommen. So hat die Zahl der Tage mit einer Höchsttemperatur von mehr als 30 Grad Celsius sprunghaft zugenommen. Sommertrockenheit, Brände, Baum- und Waldsterben nehmen zu, während die Zahl der Frosttage rapide zurückgeht und die Meeresspiegel steigen. „Mit natürlichen Ursachen ist das nicht mehr zu erklären”, betont Latif. „Im Grunde sind wir wie Geisterfahrer. Wir wissen zwar um die Probleme, steuern aber trotzdem nach wie vor in die falsche Richtung.” Was die Lösung des Problems betrifft, mangelt es seiner Meinung nach weder an den nötigen Technologien noch am Geld: „Wenn man sieht, welche Summen plötzlich in Krisen wie der Corona-Pandemie aufgebracht werden, zieht das finanzielle Argument nicht mehr. Wenn die Menschen es wirklich wollten, hätten wir das Problem ziemlich schnell gelöst.” 

Trockenheit und damit Brände nehmen durch den Klimawandel auch hierzulande rapide zu (© yelantsevv/Adobe Stock)

Der Egoismus ist das Problem

Doch woher kommt dieser fehlende Wille? Die Gründe hierfür sind vielschichtig, sagt der Forscher: „Auf der einen Seite ist es der Egoismus auf allen Ebenen. Wir haben es uns in unserer Komfortzone bequem gemacht, und da wollen wir nicht mehr raus. Auf der anderen Seite ist unsere Wirtschaft völlig falsch aufgestellt. Die Weltwirtschaft funktioniert so, dass sie Umweltzerstörung belohnt. Warum sind beispielsweise Bioprodukte teurer als konventionell erzeugte Lebensmittel? Eigentlich müsste es doch genau umgekehrt sein. Dazu kommt, dass die Politik extrem kurzatmig ist. Man denkt immer nur bis zur nächsten Wahl und versucht möglichst niemandem wehzutun – schließlich sind alle Bürgerinnen und Bürger potenzielle Wählerinnen und Wähler. So blockieren wir uns immer wieder gegenseitig.” Auch auf zwischenstaatlicher Ebene sieht Latif dieses Problem: „Jedes Land versucht, das Beste für sich herauszuholen. Deshalb geht es auch auf den Weltklimakonferenzen nicht voran.”

Begrenzte Anpassungsfähigkeit

Ein weiteres Problem: Den Menschen sei nicht bewusst, dass die Anpassungsfähigkeit an das sich verändernde Klima Grenzen hat. „Was wollen Sie denn anbauen, wenn kein Regen mehr fällt? Wie wollen Sie sich an Wassermassen anpassen, wie sie letztes Jahr im Ahrtal gefallen sind?”, fragt der Meteorologe. Auch die finanzielle Kompensation der Schäden durch Wetterextreme habe ihre Grenzen. „Der Klimawandel kostet uns schon heute extrem viel Geld, aber das wird verschwiegen. In der öffentlichen Diskussion werden immer nur die Kosten für den Klimaschutz thematisiert. Wie teuer uns die aber die Klimaveränderungen kommen, wird verschwiegen. Das schmälert letztlich auch die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen in der Gesellschaft.” 

Die Flut im Ahrtal 2021 hat gezeigt: Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen (© Christian/Adobe Stock)

Utopische Ziele

Dass die Vereinbarungen aus dem Pariser Klimaabkommen noch eingehalten werden können, glaubt Latif nicht. „Das 1,5-Grad-Ziel ist auf keinen Fall zu halten. Schon jetzt haben wir eine Erwärmung von etwa 1,2 Grad – und das bei steigenden Emissionen. Sie müssen wissen, dass CO2 teilweise tausend Jahre und länger in der Luft bleibt. Selbst wenn wir jetzt weniger CO2 ausstoßen würden, würde der Gehalt in der Luft insgesamt trotzdem steigen. Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, dürften wir weltweit bis Mitte des Jahrhunderts praktisch keine Ausstöße mehr produzieren. Wenn man ein bisschen Realismus an den Tag legt, muss man zugeben, dass das utopisch ist.”

In der Sackgasse

Die Klimakrise ist für den Wissenschaftler vor allem auch eine Energiekrise: „Was das Thema Energie betrifft, haben wir uns systematisch in eine Sackgasse manövriert, aus der wir nicht mehr herauskommen. Das sehen wir jetzt ganz deutlich vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine. Wir bemerken jetzt, wie abhängig wir sind. Und plötzlich sind Frackinggas aus den USA und die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke wieder Thema. Für mich ist das eine Wahl zwischen Pest und Cholera.”

Der Markt braucht klare Regeln

Um dem Klimawandel überhaupt noch entgegenwirken zu können, braucht es für Latif einen ganzen Strauß an Maßnahmen. „Ich glaube, ein Problem ist, dass die Regeln für die Weltwirtschaft im Lauf der Zeit systematisch abgeschafft wurden. Der Markt regelt nichts mehr. Jeder schaut nur noch danach, wie er Geld verdienen und Gewinne maximieren kann, alles andere ist egal. Aus meiner Sicht brauchen wir klare Regeln für den Markt.” Ein zentraler Schlüssel sei zudem die Energiewende – und die müsse sich auch in den Preisen niederschlagen. „Die erneuerbaren Energien sind tatsächlich die günstigste Art, Strom zu erzeugen. Und trotzdem sind die Strompreise schon vor dem Ukraine-Krieg rapide gestiegen. So denken alle, dass die erneuerbaren Energien nicht profitabel sind, dabei sind sie sehr profitabel. Eigentlich müssten also mit zunehmendem Zubau der Erneuerbaren die Preise sinken. Warum sie dennoch seit langem steigen, habe ich nie verstanden”, erklärt Latif. Ein weiterer Schlüssel liegt für den 67-Jährigen in einer Veränderung bei den Subventionen. „Die Gelder gehen immer nur zu den großen, nicht nachhaltig wirtschaftenden Produzenten. So schafft man völlig falsche Anreize. Auch in fossile Energien fließen weltweit nach wie vor Hunderte von Milliarden Euro. Wenn man diese Subventionen streichen würde, würden sich viele Dinge von alleine regeln. Gerade im Energiebereich würde sich die Sache so ziemlich schnell lösen lassen.”

Chancen nutzen

Auch wenn seine Bemühungen mitunter zermürbend sind: Die Hoffnung aufgeben möchte Mojib Latif nicht. „Es passieren immer wieder Dinge, mit denen niemand gerechnet hätte. Nehmen Sie zum Beispiel die deutsche Wiedervereinigung. Ich habe Mitte der 80er-Jahre an der Humboldt-Uni in Ostberlin einen Vortrag gehalten und hätte mir damals nie träumen lassen, dass ein paar Jahre später die Mauer weg ist. Irgendwie geht es immer, wenn der Mensch will. Wenn man im Fußball einem übermächtigen Gegner gegenübersteht, sagt man: ‚Du hast keine Chance, aber die musst du nutzen‘. So geht es auch mir mit meiner Arbeit.”

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