Neumünsters Geschichte ist über 400 Jahre eng verbunden mit der Textil­industrie, die lange Zeit das Gesicht der Schwalestadt geprägt hat.

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Max Werner – Neumünster, 1929

Die erste Dampfmaschine in ganz Schleswig-Holstein lief ab 1824  in einer Fabrik in Neumünster, wo Namen wie Bartram, Köster oder Renck auch heute noch Erinnerungen an die goldenen Zeiten der Textilindustrie hervorrufen. Wer allerdings durch die Stadt streift, der wird nicht sogleich auf Zeugnisse ihrer textilen Geschichte stoßen. Auf den zweiten Blick kann man sie dann aber doch noch entdecken, etwa die großen erhaltenen Gebäude der Tuchfabrik von Christian Friedrich Köster in der Gartenstraße 24 oder von Julius Bartram in der Wrangelstraße 9, an denen sich die Dimensionen der industriellen Textilfertigung hier vor Ort ablesen lassen. Auf dem Großflecken in Neumünsters Mitte wiederum steht unter Nummer 20 noch ein Wohnhaus, welches zur Tuchfabrik Carl Bartram gehörte, die 1871 gegründet und 1914 wieder geschlossen wurde. Und ein wenig abseits des Großfleckens findet man außer der Rencks Allee auch den Rencks Park, in dem die Stifterbüste des Namensgebers steht, des freundlich dreinblickenden Fabrikbesitzers Hans Lorenz Renck. Der Meßtorffweg wiederum, benannt nach dem Tuchfabrikanten Johann Otto Meßtorff, befindet sich in unmittelbarer Nähe, wo auch gleich um die Ecke in der Parkstraße in seiner Fabrik von 1808 bis 1930 produziert wurde. 

Die frühen Jahre

Bereits 1566 wurde eine Walkmühle im heutigen Neumünsteraner Stadtteil Wittorf gebaut. Jedoch gab es zu dieser Zeit noch nicht genug Tuchmacher in der Stadt, sodass aus der Walk- eine Papiermühle wurde. 1620 ließ Herzog Friedrich III. eine eigene Walkmühle errichten, die bis 1797 in Betrieb war. In ihr ist der frühneuzeitliche Beginn der Neumünsteraner Textilindustrie zu sehen. Nur 26 Jahre später 1646 wurde ein Tuchmacheramt gestiftet, was gleichbedeutend ist mit einer Zunftgründung. Damit gab es spätestens ab 1646 offensichtlich eine größere Gruppe von Textilhandwerkern in Neumünster.

Dampfturbine zur Stromerzeugung der Firma Ludwig Simons, die bis 1970 ihren Sitz in der Gartenallee 1 hatte.

Die industrielle Revolution

Ihre Hochphase hatte die Textilindustrie in Neumünster in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Teilweise mehr als hundert Menschen waren in  einzelnen Tuchfabriken tätig. Mit der Dampfmaschine veränderte sich die Produktionsart vollkommen und auch der Verkehr gewann mit den Zügen eine neue Dimension. Neumünsters günstige Lage machte die Stadt zum Knotenpunkt, was der Industrie weiteren Aufwind brachte. Zahlreiche Unternehmen wurden um 1830, 1850 und 1870 gegründet, andere wie Renck oder Meßtorff gab es schon seit den frühen 1800er Jahren. Die meisten Fabriken waren in Neumünsters Zentrum rund um den Groß- und Kleinflecken und die nähere Umgebung angesiedelt.

Der Niedergang

Bereits vor dem 1. Weltkrieg schlossen verschiedene Fabriken ihre Tore wieder, eine zweite Welle folgte dann in den 1970er Jahren. Die letzte Tuchfabrik, die Anfang der 1990er Jahre ihre Arbeiter nach Hause schickte, war C. Sager (gegründet 1828). Damit war Neumünsters Geschichte als Textilstadt nur noch Erinnerung, doch hatte sich die Schwalestadt ohnedies längst zu einem Dienstleistungsstandort mit Gewerbegebieten im Norden und Süden gewandelt. Wo etwa die Roweddersche Fabrik stand, befindet sich heute das Parkcenter und das Sager-Viertel ist der Ansiedlung der Holsten-Galerie gewichen. Das Gesicht Neumünsters, es hat sich verändert, aber seine textile Geschichte gerät auch dank des Museums Tuch + Technik nicht in Vergessenheit.

Die Belegschaft der Firma C. Sager Söhne u. Co. 1890 vor dem Gebäude an der Fabrikstraße 10-22.

Nicht nur Neumünster als Textilstadt hat eine wechselvolle Geschichte, sondern auch das Museum Tuch + Technik. Hier kann man neben dem Schwerpunktthema „Leben und Arbeiten in Neumünster“ rund 2.000 Jahre Geschichte entdecken.

Bereits 1914 wurde das Stadtmuseum gegründet, womit die Sammlung erste Objekte wie Zunfthumpen, Silberschließen oder Möbelstücke erhielt. 1926 übernahm Dr. Karl Schlabow die Leitung des Stadtmuseums. Er rückte die vor- und frühzeitliche Webkunst im skandinavischen Raum in den Sammlungsfokus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Stadt- zum Textilmuseum, doch erst in den 1980er Jahren wurde die inzwischen so bedeutungsvolle Maschinensammlung mit Webstühlen und anderem mehr aufgebaut.

Das zentrale Thema des 2007 als Museum Tuch + Technik am Kleinflecken 1 neu eröffneten Museums ist heute neben den Namensgebern die Stadtgeschichte Neumünsters. Die Besucher können unter anderem selbst Maschinen ausprobieren, an Medienstationen historische Filme ansehen und Interviews mit Arbeitern der Textilindustrie anhören.

www.tuch-und-technik.de

Blick in die Ausstellungsräume des Museum Tuch + Technik am Kleinflecken 1.
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