Martha Müller-Grählert

Martha Müller-Grählert kommt am 29. Dezember 1876 in Barth in Vorpommern zur Welt. Im Taufbuch ist ihr Name mit Johanna Friederike Daatz festgehalten. 1932 schreibt sie darüber in einem Brief: „Meine Personalien vertragen keine genauen Daten, mit minen Stammboom stimmt dat nich! Und wenn auch Grählert mich adoptierte – ich bin aber doch ein kleines Malörchen.“ Sie kam unehelich zur Welt.

Drei Jahre nach ihrer Geburt heiratet ihre Mutter den Zingster Müllermeister Friedrich Grählert. Mit ihrem Familiennamen wird auch ihr Geburtsname geändert. Sie erhält den Rufnamen Martha. Ihr Adoptivvater, der eine Müllerei und Landwirtschaft betreibt, ist ein strebsamer Mann. Er bringt zwei Kinder mit in die Ehe, weitere drei Kinder werden mit Marthas Mutter geboren. Martha wächst gutbürgerlich auf. Weil sich bei ihr ein Augenschaden herausstellt, bekommt das Mädchen eine Brille und ganz schnell den Spitznamen „de Perfesser“. Sie liest sehr gerne und ihre Eltern fördern ihre Begabungen. Neben dem Unterricht in der Dorfschule erhält sie Privatstunden von der Frau des Lehrers. Begierig nimmt sie viel Wissen auf, und das ermöglicht ihr später den eigenen Broterwerb.

„De Perfesser“ wird Journalistin
Martha Müller-Grählert wird konzessionierte, examenslose Hauslehrerin. Nach einem anderthalbjährigen Seminarbesuch in Franzburg erwirbt sie einen Abschluss und wird Lehrerin. Schon 1891 gelingt es ihr, ein Gedicht im Barther Tageblatt zu veröffentlichen, und das beflügelt sie so, dass sie 1898 von Zingst nach Berlin in die Redaktion des „Deutschen Familienblattes“ wechselt. Sie wird Journalistin. Sie hat die Enge ihres Elternhauses verlassen, das entsetzt reagiert. Nun hat die Tochter den sicheren Verdienst als Lehrkraft und die zu erwartende Pension aufgegeben. Martha darf nicht mehr nach Hause kommen.
Erst fünf Jahre später wird sie wieder herzlich begrüßt – als Verlobte von Dr. Maximilian Müller. Nach einer Landwirtschaftslehre und einer Tätigkeit als Rittergutsverwalter hat er mit 31 Jahren Abitur gemacht und anschließend Landwirtschaft und Tierzucht studiert. 1903 erlangt er in Berlin die philosophische Doktorwürde und im gleichen Jahr Weihnachten wird auf Zingst Verlobung gefeiert.

Martha dichtet:

Ach Gott, nun hev ick doch son Ding,
So’n lütten, glatten, gollen Ring
Un ümmer, wenn ick em bekiek,
Feuhl ick mi ach, so riek, so riek.
Un grad, als wenn hei zaubern künn,
Verännert hei mi Seel und Sinn,
Mi is, as güng nun spät und früh
Dat Glück persönlich neben mi.

Martha Müller-Grählert feiert in Berlin literarische Erfolge. Sie veröffentlicht Verse im Deutschen Familienblatt und gibt ihren ersten Gedichtband „Schelmenstücke“ 1907 heraus. Darin ist ihr Gedicht „Mine Heimat“ abgedruckt – das Ostseewellenlied. Ein Jahr später erscheint es auf einer ganzen Seite in den Meggendorfer Blättern.
Martha sagte später dazu, „dass sie es schrieb, als sie weit von der Heimat entfernt so großes Heimweh hatte nach dem Rauschen der Wellen am heimatlichen Strand.“

Wo de Ostseewellen trecken an den Strand,
Wo de gäle Ginster bleucht in´n Dünensand,
Wo de Möwen schriegen grell in´t Stormgebrus,

Dor is mine Heimat, dor bün ick to Hus.
Well- un Wogenruschen wier min Weigenlied,

Un de hogen Dünen seg´n min Kinnertied,
Seg´n uck all min Sehnsucht un min heit Begehr,
In de Welt tau steigen öwer Land un Meer.

Die Reise in die weite Welt
1911 erhält Dr. Müller eine Professur für Pferdezucht an der japanischen Universität Sapporo. „De bunte Welt, de grote Ozean, dat wier min Ziel und min geheimes Sehnen“, hielt Martha fest und begleitet ihren Mann auf dem Hinweg mit der Transsibirischen Eisenbahn. Drei Jahre hält sie es aus und tritt dann eine abenteuerliche 16-monatige Rückreise nach Europa an. Auf Umwegen erreicht sie Berlin am 11. Oktober 1915. Die Ehe ist zerrüttet: „Kleinliche Pedanterie und Mangel an jeglichem Humor auf der einen, echt pommerscher Eigensinn und Missachtung jeder gesellschaftlichen Diplomatie auf der anderen Seite gefährden die Ehe“ hatte es schon vorher geheißen.

Inzwischen hat ihr Gedicht „Mine Heimat“ eine Odyssee hinter sich. Der Komponist Simon Krannig aus Sachsen vertont es in der Schweiz, und es zieht Jahre später an die Nordseeküste und wird dort als Nordseewellen-Lied gesungen. Ab 1924 lebt Martha wieder auf Zingst in ihrem „Sünnenkringelhuus“ und ernährt sich von Vorträgen und verbirgt schamvoll ihre Armut. Sie hat große wirtschaftliche Sorgen. In einem langwierigen Prozess kämpft sie um ihr Urheberrecht an dem Text des Ostseewellenliedes und den Umdichtungen. Sie bekommt keine Tantiemen. Das Lied wird inzwischen in vielen Sprachen auf der ganzen Welt gesungen.
Als sich ihr Augenleiden verschlimmert, sorgt der Bürgermeister von Zingst für einen Platz im Altersheim in Franzburg. Neun Monate lebt sie dort und stirbt am 19. November 1939 sehr einsam. Die Zingster Gemeinde lässt sie in ihren Heimatort überführen und finanziert ihre Beisetzung.

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