
Der Roman „Getäuscht“ des gerade wiederentdeckten russischen Autors und Exilanten Juri Felsen (1894-1943) unterteilt sich in drei zeitliche Phasen von Tagebucheintragungen und umfasst insgesamt ein gutes Dreivierteljahr in den 1920er Jahre. Vom 7. Dezember bis zum 21. Dezember wird dem Tagebuchschreiber das Kommen von Jelena Gerdt, genannt Ljolja, einer ihm in etwa gleichaltrigen Anfang Dreißigjährigen, in Paris angekündigt. Hektisch bereitet er sich auf die Ankunft der ihm bekannten jungen Frau vor, mit der er wohl verbandelt werden soll. Ljolja kommt und der Tagebuchschreiber ist sofort in die Schönheit verliebt. Im zweiten Teil, der von 17. Juni bis zum 7. Juli reicht, ist Ljolja abwesend, um ihren ehemaligen Partner Sergej N. zu treffen. Indessen wird der Tagebuchschreiber in den Kreis der beiden Wiltschweskis eingeführt und beginnt eine Liaison mit Sinka W. sowie mit Ida Iwanowna S. eine zweite gleichzeitige Affäre. Beide beendet er, als die Rückkehr der so inniglich begehrten Ljolja nach Paris bevorsteht. Den Zeitraum vom 15. September bis zum 15. Oktober umfassen die Aufzeichnungen des letzten Tagebuchausschnitts. Ljolja ist wieder in Paris, fängt jedoch eine Liebschaft mit Bobka W. an, was den Tagebuchschreiber sehr schmerzt. Am Ende, Bobka ist gerade abgereist, sprechen sich Ljolja und der Tagebuchschreiber aus, eine Liebschaft ist ausgeschlossen, eine Freundschaft hingegen von der jungen Frau erwünscht, indessen sich der Tagebuchschreiber eingesteht, sich selbst etwas vorgemacht zu haben. Den hier komprimiert zusammengefassten Handlungsrahmen breitet der Tagebuchschreiber in allen seinen innerlichen Facetten, Gefühlen und Ausdeutungen äußerst ausführlich vor den Leser*innen aus, womit „Getäuscht“ ein Musterbeispiel eines introspektiven Romans ist, der zugleich Einblick in die Situation der nach der Revolution geflohenen Russ*innen in Paris gibt. (hb)

Juri Felsens „Getäuscht“ ist ein wunderbares und tiefsinniges Buch für alle Leser*innen von Marcel Proust und Karl Ove Knausgård und diejenigen, die literarische Seelenerforschung lieben.