Nachhaltigkeit ist in allen seinen Verantwortungsbereichen ein Thema: Das wird im Gespräch mit Werner Schwarz (CDU), Minister für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein, deutlich. Bevor er im Juni 2022 zum Minister wurde, hat er 37 Jahre als Landwirt gearbeitet und war 14 Jahre lang Präsident des Bauernverbands Schleswig-Holstein sowie zehn Jahre Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes.
Herr Minister Schwarz, ist die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein nachhaltig gut aufgestellt?
Um unsere Zukunft nachhaltig zu gestalten, gibt es in nahezu allen Wirtschaftssektoren noch einiges zu tun. Das betrifft natürlich auch den landwirtschaftlichen Bereich – gerade in einem Agrarland wie Schleswig-Holstein. Mögliche Stellschrauben könnten hierbei beispielsweise der Umbau der Tierhaltung oder Anpassungen beim Fruchtfolgenwechsel sein. In den letzten Jahren hat sich in der Landwirtschaft aber schon sehr viel getan – davon profitieren vor allem die Verbraucher*innen. Nachhaltigkeit fängt für mich bereits mit kurzen Transportwegen und regionalen Vermarktungsstrukturen an. Um diese Strukturen zu stärken, haben wir beispielsweise 2017 das Direktvermarkterportal „Gutes vom Hof Schleswig-Holstein“, auf dem rund 200 Erzeuger*innen mit regionalen Produkten zu finden sind, ins Leben gerufen. Fakt ist, dass nur Betriebe, die Geld verdienen, auch ökologisch und in sozialer Hinsicht nachhaltig für die Gesellschaft tätig werden können. Das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Und dass unsere Landwirt*innen mehr Wertschätzung verdienen, sollte uns spätestens seit den spürbaren Auswirkungen des Ukraine-Krieges klar geworden sein. Es ist wichtig, dass die Produktion bei uns vor Ort stattfindet. Wir brauchen eine heimische Versorgung.
Wie sollte aus Ihrer Sicht ein landwirtschaftlicher Anbau der Zukunft aussehen, der sowohl nachhaltigen Kriterien standhält als auch betriebswirtschaftlich sinnvoll ist für die Landwirt*innen?
Im Sinne der Ernährungssicherung wäre es wichtig, dass wir auch in Zukunft hohe Erträge erzielen können. Wir sollten uns darauf konzentrieren, was aufgrund der klimatischen und geografischen Gegebenheiten vor Ort am besten produzierbar ist. Schleswig-Holstein ist beispielsweise eine Gunstregion für Milchproduktion und Weizenanbau. Der Anbau kann und sollte aber grundsätzlich vielfältiger werden. Je spezialisierter und enger eine Fruchtfolge ist, desto belastender ist das für Nachhaltigkeitskriterien wie phytosanitärer Krankheitsdruck und ausgeglichene Nährstoffbilanzen. Gerade der Einsatz von Leguminosen als Fruchtfolgeglied kann einen Beitrag zur Stickstoffbindung leisten. Außerdem hat Vielfalt aus ökonomischer Sicht den Vorteil, dass Markt- und Produktionsrisiken sich besser ausgleichen lassen. Kurz: Vielfalt ist resilienter.
1949 hatten wir in Schleswig-Holstein rund 49.000 Höfe. Mittlerweile sind es nur noch um die 12.000. Wenn das sogenannte „Höfesterben“ weiter voranschreitet, sinkt auch entsprechend der Anteil der Treibhausgas-Emissionen. Das ist nachhaltig. Doch welche Auswirkungen hat das auf den ländlichen Raum und unsere Nahrungsmittelversorgung?
Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, dann sollten wir immer die drei Säulen berücksichtigen, die für diesen Begriff stehen: die ökologische, ökonomische und soziale. Wenn Höfe sterben, dann ist das sowohl aus ökonomischer wie auch sozialer Sicht nicht nachhaltig – zumal im ländlichen Raum die landwirtschaftlichen Betriebe oft wichtige Arbeitgeber sind. Und eins ist klar: Wenn die Landwirtin oder der Landwirt nicht mehr da ist, dann hat das auch Auswirkungen auf andere Bereiche wie beispielsweise das Handwerk. Insofern sollten wir alles dafür tun, dass das Höfesterben nicht weitergeht. Ein Knackpunkt dabei ist allerdings die Hofnachfolge. Auch hier ist mehr gesellschaftliche Wertschätzung für den Beruf der Landwirtin und des Landwirts gefragt.
Im aktuellen Positionspapier zum Thema „Moorschutz und Landwirtschaft” fordert der Bauernverband Schleswig- Holstein einen Moorschutz der Landwirtschaft auf freiwilliger Basis. Die Wiedervernässung der Moore in SH ist allerdings ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Wie funktioniert das „auf freiwilliger Basis”?
Wir stehen erst am Anfang einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion. Klar ist: Die sowohl marsch- als auch moorgeprägten Niederungen Schleswig-Holsteins stehen aufgrund des Klimawandels und dem damit verbundenen steigenden Meeresspiegel sowie einer Zunahme von Extremwetterereignisse vor einem erheblichen Anpassungsbedarf. Zusätzlich hat sich die Landesregierung darauf geeinigt, bis 2040 das erste klimaneutrale Industrieland zu werden. Bei der Erreichung dieses Ziels spielen Niederungsgebiete mit ihren kohlenstoffreichen Böden eine wichtige Rolle. Aber wir sollten auch immer im Blick behalten, welche Auswirkungen das auf den jeweiligen Betrieb und die Beschäftigten hat. Im bisherigen Dialog zum Thema Moorschutz war man sich einig, dass ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden muss und eine Wiedervernässung von landwirtschaftlichen Flächen nur sozialverträglich geschehen kann. Mir ist es wichtig, gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort nach Lösungen zu suchen und die Nutzung von Moorgebieten zu gestalten. Gerade was den Bereich von Anbaualternativen und alternativen Bewirtschaftungsformen betrifft, tut sich bereits einiges. Unterstützung soll dabei auch das von uns geplante Kompetenzzentrum für eine klimaeffiziente Landwirtschaft bieten. Dies soll durch Wissenstransfer und Projekte die Landwirtschaft dabei helfen, Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und sie zugleich fit für die Anpassungen an die Folgen des Klimawandels zu machen.
Sollten die Landwirt*innen daher über einen Verkauf dieser Flächen denken?
Zum jetzigen Zeitpunkt empfehle ich Landwirt*innen nicht, die dafür möglichen Flächen zu veräußern. Denn auf degradierten, wiedervernässten Moorböden gedeihen beispielsweise Paludikulturen wie Schilf, Röhricht, Großseggenried, Torfmoose oder Schwarzerlen, die als Substratrohstoff für den Gartenbau, als Rohstoff für die Bau- und Möbelindustrie oder sogar als Energieträger verwertet werden und für die Landwirt*innen interessante Erträge und einen Zusatznutzen für die Gesellschaft bringen können. Es gibt bereits mehrere MoorProjekte im Land, die hier wichtige Erfahrungswerte liefern werden.
Deutschland exportiert viele Lebensmittel: Bei Fleisch und Fleischwaren sind es zurzeit 19,5 Prozent, bei Milch und Milchprodukten 16,7 Prozent am Gesamtexport. Sollten wir nicht durch weniger Export die Umweltbelastung reduzieren und vielmehr lokale Erzeuger in Entwicklungsländern stärken?
Deutschland ist ein Netto-Importeur von Nahrungsmitteln. Wir importieren deutlich mehr Agrarwaren als wir exportieren. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist jedoch: Wo ist die optimale Region für die Produktion? Hierbei spielt unter anderem der Faktor Wasser eine entscheidende Rolle. Warum müssen wir beispielsweise Tomaten, die beim Anbau viel Wasser benötigen, aus Marokko importieren. Damit importieren wir auch viel Wasser aus einer Region, die das Wasser selbst für andere Zwecke gut gebrauchen könnte. Jedes Land sollte sich darauf konzentrieren, was aufgrund der vorherrschenden Witterungsbedingungen und geographischen Gegebenheiten vor Ort gut produzierbar ist.
Stichwort Glyphosat …
Das Thema musste ja kommen (lacht).
Bis 15. Dezember 2022 galt noch die befristete Zulassung von Glyphosat. Der Ausschuss der EU-Kommission hat der Verlängerung formal widersprochen, die Kommission kann aber auch eigenverantwortlich Verlängerung beschließen. Welche Position hat Ihr Ministerium in Bezug auf Glyphosat?
Die Anwendung von Glyphosat steht gesellschaftlich stark in der Kritik. Die Verwendung ist daher schon deutlich eingeschränkt worden. Trotzdem macht der Einsatz in einem begrenzten und kontrollierten Umfang im Ackerbau sehr wohl Sinn. Sollte aber demnächst ein vollständiges Verbot kommen, dann werden die Landwirt*innen damit auch umgehen können und sich ackerbaulich auf Alternativen einstellen. Hierbei ist es nur wichtig zu wissen, dass gegebenenfalls ein zusätzlicher Bodenbearbeitungsgang notwendig wird – und dadurch mehr CO2 freigesetzt wird.
In der neuen Düngeverordnung vom 18. November 2022 ist festgelegt, dass der Einsatz von Nitrat auf sogenannten roten Gebieten reduziert werden muss. Das betrifft in Schleswig-Holstein 9,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Das ist gut für die Umwelt und den Menschen – und hart für manche Bäuer*innen, die sich umstellen müssen. Wie begleiten Sie im Ministerium diesen Transformationsprozess, der sich vermutlich weiter fortsetzen wird?
Mit der neuen Düngeverordnung haben wir ein von der EU anerkanntes, sicheres System. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass die Erweiterung der sogenannten Roten-Gebiete-Kulisse für viele Landwirt*innen nicht ganz einfach ist. In Schleswig-Holstein betrifft dies übrigens deutlich weniger landwirtschaftliche Fläche als in anderen Bundesländern. Klar ist: Wir brauchen eine leistungsfähige und wettbewerbsstarke Landwirtschaft, gerade im Agrarland Schleswig-Holstein. Klar ist aber auch: Nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssicherheit müssen dabei Hand in Hand gehen. Von Landesseite aus bieten wir den Landwirt*innen daher eine begleitende Beratung bei besonderen Fragestellungen an. Bedauerlich ist, dass in der aktuellen Düngeverordnung landwirtschaftliche Betriebe, die nachweislich gewässerschonend wirtschaften, nicht von einzelnen düngerechtlichen Maßnahmen befreit werden. Hier gilt es noch mal nachzusteuern. Dafür werde ich mich auf Bundesebene einsetzen. Wir werden zudem die technischen und rechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit Landwirt*innen ihre Düngedaten elektronisch melden können. Nur auf Basis einer konkreten Datenlage können wir gegenüber der EU-Kommission weiter klarmachen, dass landwirtschaftliche Betriebe, welche sich nachweislich an die Rechtsvorschriften halten, keine weiteren düngerechtlichen Sanktionierungen erfahren dürfen.
Stichwort Fischerei: Die Mehrzahl der Fischbestände weltweit wird bis an die biologischen Grenzen befischt. Damit Fisch als Teil der Ernährung und auch im Ökosystem erhalten bleibt, ist eine nachhaltige, bestandsschonende Befischung wichtig. Für Dorsch und Hering beispielsweise gibt es strenge Fangquoten. Die Küstenfischerei leidet. Welche Haltung haben Sie zu diesem Themenkomplex?
Wir haben eine Verpflichtung den Menschen gegenüber, die sich mit diesem hochwertigen, gesunden Nahrungsmittel Fisch ernähren wollen. Eine Befischung „bis an die biologischen Grenzen“ wird häufig als negativ angesehen. Dem möchte ich allerdings widersprechen: Wir haben in Europa ein Management, das auf Quoten basiert. Diese werden auf Basis von wissenschaftlichen Modellierungen zur Ertragsfähigkeit von Fischbeständen festgelegt. Wir wollen unsere Meere nachhaltig, aber zugleich auch effektiv nutzen. Richtig ist aber auch, dass Dorsch und Hering in Nord- und Ostsee schon seit längerer Zeit für die Fischer*innen keine Brotfische mehr sind. In der Ostsee gilt faktisch eine Nullfang-Quote. Nur die privaten Angler*innen dürfen sie noch fischen. Wenn wir die traditionelle Fischerei in Schleswig-Holstein erhalten wollen, müssen wir eine langfristige Perspektive schaffen. Aktuelle Diskussionen zu möglichen Nullnutzungszonen und Schutzgebieten in der Ostsee sind da wenig hilfreich. Als Fischereiministerium beteiligen wir uns aktiv an einem laufenden Prozess von Runden Tischen und einer sogenannten Leitbildkommission, die das Bundesministerium ins Leben gerufen hat. Neben diesem eher auf Langfristigkeit angelegten Ansatz helfen wir den Fischer*innen schon seit Jahren mit verschiedenen Förderprogrammen, etwa für befristete Stilllegungen oder gänzliche Abwrackungen der Kutter oder mit Zuschüssen für verschiedene Investitionen. Auch im Rahmen des neuen Fischereifonds zur Umsetzung des Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds (EMFAF) werden wir alle Möglichkeiten nutzen, um die Fischer*innen in Schleswig-Holstein zu unterstützen.
Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung ist für die Gesellschaft, die Artenvielfalt, als CO2-Speicher und Produktionsort des nachwachsenden Rohstoffs Holz besonders wichtig. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie im Ministerium die Waldbewirtschaftung zukunftsfähig ausrichten?
Im Koalitionsvertrag ist eine Anhebung des Waldbestandes von derzeit knapp elf Prozent auf 12 Prozent fixiert. Bis 2030 wollen wir jedes Jahr 125 Hektar zusätzlichen Wald zu schaffen. Das ist ein ambitioniertes Ziel – gerade im Hinblick auf die große Flächenkonkurrenz in Schleswig-Holstein. Was vielen nicht klar ist, dass viele Förster*innen, Waldbesitzer*innen und auch Jäger*innen sich bereits ihr Leben lang damit befassen, ein Gleichgewicht im Wald aufrechtzuerhalten. Dort hat der Nachhaltigkeitsgedanke ja auch seinen Ursprung. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, wünsche ich mir eine Diskussion, die weniger ideologisch ist. Was wir heute brauchen, ist ein stärkeres Aufeinanderzugehen von allen Seiten – also von Vertreter*innen des Natur- und Umweltschutzes als auch von Seiten derjenigen, die Holz wirtschaftlich nutzen. Im Übrigen hat der Wald in Deutschland eine ganz besondere Stellung als Kulturgut. Den Erholungswert des Waldes zu sichern, ist eine sowohl ökonomisch wie auch ökologisch große Aufgabe. Holz erlebt derzeit eine außergewöhnliche Konjunktur auch als umweltfreundlicher Energieträger. Aus diesem Grund sehe ich es kritisch, dass die EU-Kommission unser Holz, den nachwachsenden Rohstoff, der unter Erbringung aller Waldfunktionen gewonnen wird, zukünftig nicht mehr als erneuerbaren Energieträger anerkennen will. Eine Kaskadennutzung wäre sicher sinnvoller…
Das bedeutet?
Als Kaskadennutzung wird in der Regel die aufeinander folgende, mehrmalige und nachhaltige Nutzung eines Rohstoffs zur Herstellung von Produkten, gefolgt von einer abschließenden thermischen Verwertung, verstanden. Das heißt, dass das Rohholz beispielsweise vor der energetischen Nutzung in einem Kraftwerk erst zu Konstruktionselementen für den Hausbau, dann zu Lamellen für einen Tisch und schließlich zu Spänen einer Spanplatte verarbeitet wird. Ziel dabei ist es, den knappen Rohstoff Holz noch effizienter zu nutzen.
Eine private Frage: Wie nachhaltig sind der Privatmensch Werner Schwarz und seine Familie unterwegs?
Unser landwirtschaftlicher Betrieb ist eine Energieinsel: Wir haben ein Heizkraftwerk mit Holzhackschnitzel, die alle Wohneinheiten und Ställe mit Wärme versorgen. Seit zwei Jahren haben wir eine Photovoltaik-Anlage in Betrieb, mit der wir bis zu zwei Drittel unserer Energie erzeugen können. Unsere Lichtquellen sind weitgehend mit LED-Leuchten bestückt. Wenn ich Fahrrad fahre, dann ohne elektronische Unterstützung. Wenn bei der Knickpflege oder im Wald Restholz anfällt, zerkleinere ich das noch mit eigener Muskelkraft und verwende es im Ofen. Und seit der Corona-Pandemie haben wir wieder einen Hausgarten zur Selbstnutzung, in dem wir Gemüseanbau betreiben.
Herr Minister, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Michael Fischer