Unser Kulturredakteur Heiko Buhr hat sich auf Buchreisen ins Land der aufgehenden Sonne, durch das Deutschland der 1920er und 30er Jahre, nach Russland sowie in die Architekturgeschichte. Außerdem verfolgt er seitenweise Agenten, Saboteuren und Intriganten der Ritterzeit, bewundert „scharfsichtige“ Frauen und lässt sich von einer „Meisterin“ bezaubern.
Eine wahnhafte Besessenheit
Der japanische Autor Yukio Mishima (1925-1970) ist ob seiner politischen Ausrichtung zwar ein sehr umstrittener Künstler, aber zugleich unumstritten einer der herausragenden Literaten seines Landes im 20. Jahrhundert. Der Roman „Der Goldene Pavillon“ aus dem Erscheinungsjahr 1956 gehört dabei zu seinen wichtigsten Werken. Aus der Ich-Perspektive erzählt Mizoguchi darin seine Geschichte. Er ist ein Stotterer, der nach dem Tod seines Vaters als Novize in ein buddhistisches Kloster eintritt. Dort nimmt das Unheil seinen Lauf, denn Mizoguchi gerät nicht nur in für ihn ungute Beziehungen zu dem klumpfüßigen Kashiwagi, sondern entwickelt auch ein tragisches Verhältnis zum „Goldenen Pavillon“, einem Gebäude, das zum Klostergelände gehört und aus dem 14. Jahrhundert stammt. Aus einer wahren Begebenheit macht Yukio Mishima in diesem Buch die eindringliche Charakterstudie eines psychisch kranken Menschen.
Yukio Mishima: Der Goldene Pavillon. Verlag Kein & Aber 2020, 333 S., 22 Euro
Der Weg des Samurai
Das Land der aufgehenden Sonne ist für uns Europäer hinsichtlich nach wie vor ein wenig unverständlich. Wer Japan verstehen will, der muss sich mit seiner Vergangenheit beschäftigen, seinen Traditionen, zu der auch die Samurai, also der Kriegerstand, mit ihrem außergewöhnlichen Ehrenkodex gehören. Es gibt für diese ein paar Kardinaltexte für die Samurai, zu denen das „Hagakure“ von Jōchō Yamamoto (1659-1719) gehört, das um 1710 entstand. Es besteht aus elf Bänden, von denen die ersten beiden in dieser schön gestalteten und mit eindrucksvollen Abbildungen versehenen Ausgabe enthalten sind. Der berühmteste Satz des „Hagakure“ lautet wie folgt: „Der Lebensweg eines Kriegers bedeutet, zu begreifen, dass man sterben wird und sterben muss“. Allein dieser sagt schon sehr viel über das kulturelle Fundament aus, auf dem Japan steht, aber im „Hagakure“ findet man noch sehr viel mehr, was zum Verständnis dieses faszinierenden Landes und seiner Menschen beiträgt.
Jōchō Yamamoto: Hagakure. Reclam Verlag 2020, 312 S., 20 Euro
Ein ganz besonderes Verhältnis
Der amerikanische Autor Thomas Wolfe (1900-1938), insbesondere bekannt für seinen herausragenden Roman „Schau heimwärts, Engel“ (1929), hatte zwischen 1926 und 1936 sechs Deutschlandaufenthalte. Er liebte das Land, aber seine letzte Reise zeigte ihm dann, dass Deutschland einen Irrweg eingeschlagen hatte. Dieses schön gestaltete Buch mit mehreren Fotos aus Wolfes Notizbüchern und weiteren Abbildungen versammelt Storys, Artikel, Briefe und Ansichtskarten sowie Notizen des brillanten Schriftstellers. Es ist ein sehr persönlicher Blick auf Deutschland in den 20er und 30er Jahren, den man hier entdecken kann. Gerade die Erzählungen „Dunkel im Walde, seltsam wie Zeit“, „Oktoberfest“ und „Nun will ich Ihnen was sagen“ sowie der Artikel „Brooklyn, Europa und ich“ zeigen Wolfe als den außergewöhnlichen Autor, der er ist.
Thomas Wolfe: Eine Deutschlandreise. Manesse Verlag 2020, 410 S., 25 Euro
Ein Klassiker in schönem Gewand
Die Erzählung „Pique Dame“ des russischen Nationaldichters Alexander Puschkin (1799-1837) gehört zum herausragenden Kanon der Literatur seines Heimatlandes. Hier kommt der großartige Text in einer neuen Übertragung des vorzüglichen Übersetzers Alexander Nitzberg daher. Schon aus diesem Grund lohnt sich überaus das neuerliche Lesen der Meistererzählung über den Deutschen Offizier Hermann, der auf infame, eine Tragödie auslösende Art versucht, hinter das Geheimnis der drei Karten zu kommen, die ihn beim Pharospiel reich machen sollen. Aber es wird noch besser, denn die wunderbare Illustratorin Kat Menschik veredelt den Text auch noch mit ihren eindrucksvollen Bildern auf grandiose Weise. Solange es solche Bücher wie dieses gibt, die aufzublättern eine einzigartige Freude ist, muss sich niemand um die Zukunft des Buchs Sorgen machen.
Alexander Puschkin: Pique Dame. Verlag Galiani Berlin 2020, 96 S., 18 Euro
Ins Herz der Baukunst
„Ein Überblick über die wichtigsten Stile, Bauwerke, Elemente und Materialien“ verspricht der Untertitel des Buchs „Eine kurze Geschichte der Architektur“ von Susie Hodge. Und tatsächlich bietet das wunderbar bebilderte Überblickswerk eine beeindruckend kenntnis- und detailreiche Einführung in die Geschichte der Baukunst von der Antike bis in die Gegenwart sowie in die Architektur und ihre wichtigsten Protagonisten. Die Autorin versteht es dabei nicht nur, die einzelnen, teils sehr komplexen thematischen Bereiche verständlich darzustellen, sondern auch mit vielen interessanten und überraschenden Informationen zu unterhalten. So gelingt es ihr, selbst architekturunkundigen Menschen die Geschichte der Architektur nahe zu bringen.
Susie Hodge: Eine kurze Geschichte der Architektur. Laurence King Verlag 2020, 224 S., 18 Euro
Gefährliche Gesellschaft
Der israelische Historiker Yuval Noah Harari ist einem größeren Publikum durch seinen Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ bekannt, dem mit „Homo Deus“ und „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ zwei weitere stark beachtete Bücher folgten. Weniger bekannt ist, dass Hararis Forschungsschwerpunkt früher die Militärhistorie war. Aus dieser Zeit stammt auch das 2007 veröffentlichte Buch „Fürsten im Fadenkreuz“, in dem er sich, wie der Untertitel verrät, „Geheimoperationen im Zeitalter der Ritter 1100-1550“ widmet. Man kommt bei der Lektüre nicht nur nicht aus dem Staunen heraus, was da alles an hinterlistigen Attentaten, gemeinen Sabotagen und fiesen Entführungen bereits in der frühen Neuzeit ausgeheckt wurde, sondern folgt zugleich fasziniert der vorzüglich geschriebenen Darstellung Hararis, der es einfach ausgezeichnet versteht, interessant, anschaulich und kenntnisreich Geschichte zu erzählen.
Yuval Noah Harari: Fürsten im Fadenkreuz. Verlag C.H.Beck 2020, 347 S., 26,95 Euro
Sehenden Auges
Berenice Abbott, Lee Miller, Florence Henri, Ré Soupault, Marianne Breslauer, Germaine Krull, Gisèle Freund, Dora Maar – was für klingende Namen der Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie alle sind heute längst ebenso bestens bekannte Ikonen wie viele ihrer Bilder. Und alle acht Frauen waren im Paris der 20er und 30er Jahre mit dabei, als die Kunst von dort aus weiter revolutioniert wurde und der Surrealismus Erfolge feierte. Unda Hörner schildert in ihren grandiosen biografischen Porträts die acht so wirkungsmächtigen wie bahnbrechenden Fotokünstlerinnen und die aufregende, hochkreative Zeit, die sie mit ihren Arbeiten genauso nachhaltig mit geprägt haben wie beispielsweise ein Pablo Picasso, ein Man Ray oder ein Salvador Dalí.
Unda Hörner: Scharfsichtige Frauen. Verlag ebersbach & simon 2020, 144 S., 18 Euro
Gegenwart und frühe Neuzeit
Markus Heitz ist der Großmeister des deutschsprachigen Fantasy-Romans. Die Geschichte um die Heilerin Geneve Cornelius, die einen lebensverlängernden Trank hat und bereits wie ihre Mutter und ihr Bruder, beide Henker und Folterer früherer Zeiten, seit Jahrhunderten auf Erden lebt. Plötzlich aber werden zunächst ihr Bruder und dann auch ihre Mutter in London auf altertümliche Art und Weise ermordet. Geneve wird mit der der dunklen Vergangenheit, der dämonischen Jetztzeit und der alten Fehde mit der Familie Bugatti konfrontiert. Dieser Roman ist der großartige Auftakt einer Trilogie, die im Herbst 2020 ihre Fortsetzung finden soll, was wiederum für große Vorfreude bei allen sorgen dürfte, die dieses Buch lesen, in dem man übrigens ganz en passant ganz viel Interessantes über das Henkerswesen erfährt.
Markus Heitz: Die Meisterin – Der Beginn. Knaur Verlag 2020, 480 S., 14,99 Euro