Jimi Hendrix war einer der kreativsten und einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Sein innovativer Stil, in dem sich Fuzz, Feedback und kontrollierte Verzerrung zu einer neuen musikalischen Form verbanden, war wegweisend für alle Virtuosen an der E-Gitarre.
Die Grenzen, die diesem Instrument bis dato gesetzt schienen, hat Hendrix alle um Längen überschritten. Am 6. September 1970 spielte der Ausnahmekünstler beim Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn sein einziges Konzert im deutschen Norden – und seinen letzten Festival-Gig.
Eine Insel wird zur Bühne
Wir schreiben das Jahr 1970, es ist der Sommer nach dem legendären Festival in Woodstock. Überall auf der Welt versuchen Veranstalter*innen der Musikszene den Spirit von 1969 zu wiederholen – so natürlich auch Helmut Ferdinand (damals 33 und Ingenieur), Christian Berthold (damals 28 und Gastwirt) und Tim Sievers (damals 30 und Student) aus Norddeutschland. Gemeinsam planen sie ein Musikevents mit 30 bis 40 Acts, erwarten rund 60.000 Besucher*innen und gründen die Fehmarn-Festival GmbH – die Ostseeinsel schien damals infrastrukturell sehr geeignet für diese Art der Veranstaltung. Die jungen Männer geben sich Mühe und schließen zahlreiche Kooperationen mit Partnern ab: Miete der Festivalfläche, Licht- und Bühnentechnik, Personal- und Besucherverpflegung, sanitäre Anlagen. Für Werbung und Marketing lassen sie Kleinbusse im Hippie-Look von Kiel aus durch ganz Mitteleuropa und Skandinavien fahren, um 100.000 Plakate aufzuhängen und Flyer zu verteilen. Doch das absolute Highlight ihres Festivals soll natürlich die Musik sein und auch hier überlassen Ferdinand, Berthold und Sievers nichts dem Zufall: Sie heuern Jimi Hendrix an.
Das Chaos nimmt seinen Lauf
Das Fehmarn-Festival beginnt am 4. September 1970 – der Tag steht von Beginn an unter keinem guten Vorzeichen. Es regnet und stürmt, der Boden ist bereits aufgeweicht. Trotz eines zunächst eher schleppenden Kartenvorverkaufs sind vor dem Festivalstart bereits 4.000 Fans auf dem Gelände. Dazu gesellen sich in der Nacht rund 180 Rocker der „Bloody Devils“ aus Hamburg. Angeheizt durch Alkohol liefern sich die Rocker diverse Schlägereien und Messerstechereien. Dennoch schaffen es die Hamburger, sich selbst als Ordner zu engagieren. In den kommenden drei Festivaltagen konfiszieren sie nicht nur einen Großteil des mitgebrachten Alkohols der Besucher*innen, sondern sorgen auch immer wieder für Prügeleien und Drohungen. Am Ende werden sie tatsächlich „ausbezahlt“ und vom Gelände beseitigt.
„Jimi Hendrix soll auch ganz gut sein“
Es gibt also immer wieder unerfreuliche Zwischenfälle und auch das Wetter bleibt anhaltend schlecht. Dennoch freuen sich alle auf den Auftritt von Hendrix, der für Samstag angekündigt ist. Doch Jimi kommt gerade aus Berlin, ist müde und verzieht sich auf sein Hotelzimmer in Puttgarden. Sein Konzert wird auf Sonntag verlegt – die Menge wird unruhig. Kleine Bands sollen die Pausen füllen, unter anderem die völlig unbekannten „Witthüser & Westrupp“ aus dem Ruhrpott. Ihre Musik spicken sie mit Witzen und dem Publikum rufen sie zu: „Verausgabt euch nicht, gleich kommt noch Jimi Hendrix, der soll auch ganz gut sein!“
Erst am Sonntagmittag, mit reichlich Verspätung, betritt Hendrix endlich die Bühne und beginnt zu spielen: „Hey Joe“, „Voodoo Child“, „Purple Haze.“ Es ist das letzte Mal, dass er diese Songs auf einer Festivalbühne spielt. Seine Lyrics bekommen so eine ganze neue Bedeutung.
Das Festival lodert auf
Viele haben den Auftritt von Jimi Hendrix auf Fehmarn nicht als überzeugend empfunden – sein Spiel immer noch brillant, aber lustlos und ohne Leidenschaft. Ganz anders liefern da seine Nachfolger ab. Die Band „Ton, Steine, Scherben“ – damals noch „Rote Steine“ – rund um Frontman Rio Reiser hat an diesem Sonntagabend ihren ersten großen Auftritt. Underdessen kocht die Stimmung auf dem Gelände immer weiter hoch und wird zusehends aggressiv. Als die Festivalleitung, die ihre Helfer immer noch nicht ausbezahlt hat, plötzlich mit der Tageskasse verschwindet, zünden die Anwesenden das Veranstaltungszentrum an. Und während die jungen Rocker von „Ton, Steine, Scherben“ den Song „Mach kaputt, was euch kaputt macht“ singen, geht das Fehmarn-Festival lodernd in die Geschichte ein.
Warum das Fehmarn-Festival angesichts dieses doch eher turbulenten Ablaufs heute auch Love-and-Peace-Festival oder „Festival der Liebe“ genannt wird? Wahrscheinlich weil doch der Geist von Jimi Hendrix über dem Ganzen schwebt. Denn nachdem er wenige Tage später einen letzten Live-Auftritt in London spielte, starb Hendrix am 18. September 1970 im Alter von 27 Jahren. Damit reihte er sich ein in den „Club 27“, jenen tragischen Reigen junger Ausnahmemusiker*innen wie Jim Morrisson, Janis Joplin oder Kurt Cobain, die schon mit 27 Jahren starben.
Fotos: © Sony Music