„Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah.“
Esther Bejarano I 15.12.1924 – 10.07.2021

Bis ins hohe Alter kämpfte die in Hamburg lebende HolocaustÜberlebende Esther Bejarano gegen Faschismus und Rassismus. Am Juli verstarb die 96-Jährige. Bejarano hinterlässt zwei Kinder, zwei Enkelkinder und vier Urenkel. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf neben ihrem 1999 verstorbenen Ehemann Nissim beigesetzt.

Wer war Esther Bejarano? Geboren wurde Bejarano unter dem Namen Esther Loewy am 15. Dezember 1924 in Saarlouis als Tochter eines jüdischen Oberkantors. 2014 wurde sie Ehrenbürgerin Hamburgs. Ihre Eltern wurden 1941 von den Nazis in Litauen umgebracht. Esther Bejarano wurde Anfang 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Als für das Mädchenorchester des Lagers eine Akkordeonspielerin gesucht wurde, meldete sie sich – ohne jemals ein solches Instrument in der Hand gehabt zu haben. Es gelang ihr trotzdem zu spielen.
Das rettete ihr das Leben, wie sie in ihrem 2013 veröffentlichten Buch „Erinnerungen“ berichtete. Esther Bejarano überlebte Auschwitz und Ravensbrück und konnte auf einem der Todesmärsche am Ende des Krieges schließlich fliehen. 1945 wanderte sie nach Palästina aus und lernte dort ihren Mann Nissim Bejarano kennen. 1960 verließ die Familie mit den beiden Kindern Edna und Joram Israel, unter anderem, weil sie mit der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern nicht einverstanden waren und zog nach Hamburg.

© Auschwitz-Komitee/ AHR
Am 18. Juli wurde Esther Bejarano auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt.

Glühende Antifaschistin

Bejarano hatte in ihrem Leben zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Zusammen mit ihrem Sohn Joram und ihrer Tochter Edna sang sie jüdische und antifaschistische Lieder, zuletzt tourten sie mit der Kölner Hip-Hop- Band Microphone Mafi a durch Deutschland. Im Mai dieses Jahres hatte sie noch mit einer Lesung an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten in Hamburg erinnert. Bejarano war unter anderem Vorsitzende des Auschwitz-Komitees und Ehrenpräsidentin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. In Zeiten des Kalten Krieges wurde der Bund der Antifaschisten diskreditiert, galt als „zu links“, gar als verfassungsfeindlich. Er wurde vom Verfassungsschutz observiert. Davon hat sich Esther Bejarano nie beeindrucken lassen. Übrigens von demselben Verfassungsschutz, der jahrelang von der NSU-Mordserie nichts mitbekommen haben will und bei dessen ehemaligem Präsidenten man nicht recht weiß, ob er noch CDU oder schon AFD ist.

,,Das Haus brennt und Sie sperren die Feuerwehr aus!“ (Esther Bejarano 2019 zu Finanzminister Olaf Scholz bezüglich der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten)

© Auschwitz-Komitee/ AHR
30 Gäste fanden in der Kapelle Platz. Die Trauerfeier wurde über Videoleinwände nach draußen übertragen, wo Hunderte zusammengekommen waren, um Abschied zu nehmen.

,,Ich habe mich daran gewöhnt, dass die Menschen von mir wissen wollen, was damals geschehen ist. Und ich sehe darin auch einen Sinn. Ich mache es nicht, weil ich meine Geschichte erzählen will, sondern damit diese Geschichte nie wieder passiert.“

Impulsgeberin für Demokratie & Gleichberechtigung

Die Zeiten haben sich zum Glück geändert. „Mit ihrem außergewöhnlichen Engagement hat Esther Bejarano über viele Jahrzehnte wichtige Impulse gegeben für Demokratie, Erinnerungskultur und Gleichberechtigung in Deutschland“, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher bei der Trauerfeier.
„Wir werden ihr Andenken würdigen und uns dafür einsetzen, ihre Botschaft weiterzutragen“, äußerte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit. Sie wies auch darauf hin, dass Esther Bejarano als Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück wichtige Aufklärungsarbeit an Schulen und Universitäten geleistet hat. Sie engagierte sich auch für „Schule ohne Rassismus“ und sagte mal: „Ich unterstütze Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, weil es wichtig ist, dass diese Arbeit weitergeführt wird. Wir sind leider mit Ausländerhass, mit Rassismus aller Art und einem neu aufkeimenden Antisemitismus konfrontiert.
Es wird von unseren Politikern nicht bemerkt, dass die Verharmlosung der neonazistischen Aktionen eine Gefahr für unsere Demokratie bedeutet.“ Die Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz-
Birkenau sowie des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück war Patin von gleich
mehreren Courage-Schulen. „Ihre Unterstützung ehrt uns sehr – auch, weil das Gedenken an die nationalsozialistische Diktatur und die Opfer des Nationalsozialismus ein zentrales Anliegen von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage darstellt“, sagte Medi Kuhlemann von der Landeskoordination Schule ohne Rassismus in Schleswig-Holstein im Rahmen einer Feier. Im Juni 2021 wurde schließlich die 100. Schule in Schleswig-Holstein als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet.

,,Wenn die Regierung nichts gegen die Nazis tut, dann müssen wir das tun. Wir dürfen nicht schweigen.“

Wir dürfen nicht schweigen

Auch der Hamburger Schauspieler Rolf Becker würdigte die Verstorbene: „Ich habe Esther geliebt, war zutiefst berührt von ihrer unerschütterlichen Lebensbejahung, bewunderte die schöpferische Leidenschaft ihrer lebensbejahenden Energie“, sagte er unter Tränen bei der Trauerfeier. Bei all ihren letzten öffentlichen Auftritten zog sie immer wieder Analogien zur AfD, zum rechten Terror, zu den Verbrechen des NSU. „Ich habe mich daran gewöhnt, dass die Menschen von mir wissen wollen, was damals geschehen ist. Und ich sehe darin auch einen Sinn. Ich mache es nicht, weil ich meine Geschichte erzählen will, sondern damit diese Geschichte nie wieder passiert.“ Zu mir sagte sie mal: „Wenn die Regierung nichts gegen die Nazis tut, dann müssen wir das tun. Wir dürfen nicht schweigen.“ Esther Bejarano wurde 96 Jahre alt. Ein unglaubliches Alter. Eine unglaublich starke, kraftvolle, mutige und emphatische Frau. Sie wird vielen Menschen im Lande fehlen.

© Auschwitz-Komitee/ Lesezeichen

,,Wer gegen Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen.“ (Esther Bejarano in Die Anstalt 17.11.2015)

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