Das Klima ist im Wandel. Die Erde wird dramatisch wärmer. Um hier gegenzusteuern, sind Unternehmen ebenso gefragt wie jede:r Einzelne von uns. Und es braucht das Engagement des Staates, der Länder und der Kommunen. Für die Landesregierung koordiniert Tobias Goldschmidt (Bündnis 90/Die Grünen) mit seinem Ministerium die Maßnahmen, die zu einer umfassenden Energiewende führen sollen.  

Herr Minister, was brauchen wir, um die Energiewende aktiv zu gestalten und die festgelegten Klimaziele unseres Landes zu erreichen?

Das Wichtigste ist, dass wir noch schneller als bisher ins Handeln kommen. In Schleswig-Holstein geht es dabei vor allem um den zügigen Ausbau erneuerbarer Energien, mit denen wir Treibhausgase vermeiden können. Allein das wird aber nicht reichen. So wie bisher, indem wir beispielsweise zahllose Gasheizungen nutzen, kann es nicht weitergehen. Handeln müssen wir auch im Verkehrsbereich, wo wir nicht weiter auf Verbrennungsmotoren setzen können. Entscheidend ist zudem der Wandel hin zu einer klimaneutralen Landwirtschaft. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien und weniger Treibhausgasemissionen. 

Was bedeutet das für uns? 

Wir brauchen einen Lebenswandel, um bewusst Energie einzusparen und Emissionen zu reduzieren. Und wenngleich wir als verhältnismäßig reiches Land auch in einer Vorbildrolle sind und vorangehen müssen, muss all das auch global stattfinden. Das ist eine riesengroße Aufgabe und die Zeit läuft uns davon. Der dramatisch heiße Sommer hier im Land und die vielen Naturkatastrophen weltweit haben uns dies noch mal eindrücklich vor Augen geführt.

© Zlatan Rasidovic

Bleiben wir in Schleswig-Holstein: Inwieweit stimmen Sie sich mit anderen Ministerien ab, um auf diesem Weg schnell voranzukommen? Denn um die Erderwärmung zu stoppen, bedarf es doch Maßnahmen, die viele Bereiche betreffen. 

Das stimmt. Klimaschutz ist eine Aufgabe, die nicht in einem Ressort allein stattfinden kann. Auch wenn wir das Klimaschutzministerium sind, ist es eine Aufgabe für die gesamte Landesregierung. Das wurde auch im Koalitionsvertrag festgehalten. Daher muss jedes Ministerium im nächsten Jahr einen Plan vorlegen, wie es in seinem Politikfeld die Klimaziele erfüllen und sogar übererfüllen will. Das bedeutet: Wir sind eine Klimaschutzregierung und jedes Ressort ist ein Klimaschutzministerium. Mein Ministerium ist das koordinierende Haus. Ich werde bei meinen Kolleginnen und Kollegen immer wieder mit dem Thema Klimaschutz auf der Matte stehen.

Auch die Industrie und jedes Unternehmen müssen langfristig spürbar zum Klimaschutz beitragen. Wie schätzen Sie die Bereitschaft ein und können Sie in diesem Zusammenhang Beispiele für vorbildliche Unternehmen nennen? 

In Schleswig-Holstein haben sich viele Unternehmen auf den Weg gemacht – zum Teil natürlich auch situationsbedingt. Denn wir haben ja nicht nur eine Klimakrise, sondern auch eine Preiskrise infolge des fürchterlichen Kriegs in der Ukraine. Ich nenne zwei Beispiele: In Brunsbüttel gibt es einen Hersteller von Ammoniak und technischen Stickstoffprodukten wie AdBlue. Das Unternehmen plant, ein Viertel seines Energieverbrauchs auf erneuerbaren Strom umzustellen. Das ist eine gewaltige Menge. Ein weiteres Beispiel ist die Raffinerie in Heide. Sie ist Partner und Koordinator des Projekts WESTKÜSTE100. Das Projekt hat das Ziel, aus erneuerbarem Strom Wasserstoff in industriellem Maßstab zu erzeugen und damit die Dekarbonisierung von Wärme, Transport und Industrie voranzutreiben. Damit sollen etwa eine Million Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Es ist großartig, dass wir uns in Schleswig-Holstein auf den Weg machen, die Industrie von morgen zu erfinden. Mit den vielen Windkraftanlagen sind wir ein Top-Standort dafür.

In Brunsbüttel entsteht zurzeit ein Flüssiggasterminal (LNG-Terminal). Diese LNG-Infrastruktur wollen Sie – nach eigenen Aussagen – zu einem Multienergieterminal für erneuerbare Energie ausbauen. Wie kann das gelingen?

Das LNG-Terminal ist aus der bitteren Notwendigkeit geboren, kurzfristig andere, auch fossile, Energieträger importieren zu müssen. Putin nutzt Erdgas als Waffe und diese Waffe müssen wir ihm nehmen. Meine Partei will raus aus Öl und Gas. Leider haben die vier letzten Bundesregierungen – alle geführt von der CDU – die Energiewende komplett verschlafen und teilweise sogar aktiv verhindert. Die Konsequenz: Wir sind leider noch immer hochgradig abhängig von fossilen Energieträgern. Deswegen ist es zum jetzigen Zeitpunkt richtig, das LNG-Terminal in Brunsbüttel aufzubauen – auch wenn es keine Klimaschutztechnologie ist. Umso wichtiger ist es, dass wir an dieser Stelle keine Fehler machen, die dazu führen, dass wir uns dauerhaft an diesen fossilen Energieträger binden. Das heißt, das LNG-Terminal in Brunsbüttel muss von vornherein so konzipiert werden, dass die Infrastruktur künftig auch den Import erneuerbarer Energieträger ermöglicht. Es sind derzeit ja zwei Projekte: Zunächst ist ein schwimmendes LNG-Terminal für die Übergangszeit vorgesehen, bis in ein paar Jahren ein festes Terminal entstehen kann. Dieses feste Terminal soll so ausgerichtet sein, dass grüner Wasserstoff und dessen Derivate angelandet werden können. Genau das muss der Weg sein. Wir können bei uns sehr viel Energie selbst produzieren – vor allem hier in Schleswig-Holstein. Mit Blick auf ganz Deutschland werden wir aber auch langfristig nicht um Energieimporte herumkommen. Nur, dass diese dann klimaneutral sein müssen. 

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Zu den erneuerbaren Energien zählt auch die Windenergie. Um mehr Windkraftanlagen zu installieren, braucht es mehr Flächen, also sogenannte Vorranggebiete, die dafür ausgewiesen werden. Wie weit sind Sie in diesem Zusammenhang bei der Landesplanung?

Alles, was wir mit dem Schlagwort Energiewende beschreiben, hängt an einem großen Vorhaben: Das ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist die Grundlage für alles. Im Koalitionsvertrag ist klar formuliert, dass wir in dieser Legislaturperiode die Flächenplanung fortschreiben wollen, sodass wir auf insgesamt rund 15 Gigawatt Windkraftleistung kommen. Das wäre ein großer Schritt. Denn zurzeit produzieren wir etwa 7 Gigawatt auf rund 2 Prozent ausgewiesenen Flächen. Zielrichtung ist, 2,8 bis 3 Prozent der Landesfläche für die Windenergie zu nutzen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern werden wir damit einen überdurchschnittlich großen Beitrag für das Gelingen der Energiewende leisten. Das wird nicht ohne Konflikte gehen, weil natürlich viele Schutzgüter zu beachten sind und Entscheidungen getroffen werden müssen, die unbequem sind. Die unbequemste Entscheidung wäre aber, nichts zu tun. Denn die Klimakrise mit all ihren Konsequenzen schreitet voran. 

Laut Bundesumweltamt war die deutsche Landwirtschaft für geschätzte 54,8 Millionen Tonnen Kohlendioxid Äquivalente verantwortlich. Das entspricht rund 7 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgasemission. Wie können wir hier eine CO2-neutrale Viehzucht erreichen? Und sind Sie im engen Austausch mit dem neuen Landwirtschaftsminister?

Die Frage, wie wir uns ernähren, ist eine Frage, wie wir zum Klimaschutz beitragen oder auch nicht. In Schleswig-Holstein gehen über ein Fünftel der Treibhausgase auf die Landwirtschaft zurück. Das ist sehr viel. Das Landwirtschaftsministerium wird daher ein Kompetenzzentrum für klimaeffiziente Landwirtschaft auf den Weg bringen. Schleswig-Holstein ist ein Land, in dem die Landwirtschaft eine Zukunft haben soll. Vor dem Hintergrund der Pariser Klimaschutzziele wird diese Zukunft aber eine deutlich andere sein als der Status quo.

Für die vielen Landwirt:innen im Land ist dieser Weg mit enormen Anstrengungen verbunden. Wie kann das funktionieren?

Zum Klimaschutz beizutragen, ist in der Landwirtschaft schwerer als in anderen Bereichen. Die Nahrungsmittel-Produktion führt immer zu Emissionen. Um diese zu reduzieren, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel eine angepasste Fütterung der Tiere oder die Verwertung von Gülle. Doch in diesem Zusammenhang ist auch eine Veränderung von Ernährungsgewohnheiten wichtig. Das so offen anzusprechen – davor schreckt Politik gerne zurück. Doch dieser massive Fleischkonsum, den wir uns in Deutschland leisten, hat keine Zukunft und muss und wird sich ändern.  

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Laut Statistischem Bundesamt liegt der Fleischkonsum pro Kopf noch immer bei rund 55 Kilogramm. Allerdings mit
abnehmender Tendenz. 

Wir müssen weg von der Massentierhaltung. Und auch im Lebensmittelhandel gibt es eine Tendenz weg vom Billigfleisch hin zu mehr Qualität mit Tierwohl-Siegel. In diesem Zusammenhang möchte ich auch an den Lebensmitteleinzelhandel appellieren, sich hier noch stärker zu engagieren – ebenso wie beim Thema Regionalität. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden dies, da bin ich sicher, zukünftig noch stärker einfordern. Der massive Konsum tierischer Produkte ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Für den Klimaschutz ist auch die Renaturierung von Torfgebieten ein wichtiges Thema. Wie weit ist Schleswig-Holstein in diesem Bereich und was ist in den nächsten Jahren geplant?

In Schleswig-Holstein haben wir hierfür das Programm zum Biologischen Klimaschutz erarbeitet. Intakte Moore speichern durchschnittlich pro Hektar sechsmal so viel Kohlenstoff wie der Wald. Moore wieder zu vernässen, hat einen mehrfachen Nutzen: Es schützt das Klima, weil Emissionen reduziert werden. Es ist aber auch ein Beitrag zur Klimaanpassung, weil mehr Feuchtigkeit in der Fläche gehalten wird und Wasser im Land. Und es ist nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Biodiversität. Wir haben bereits rund 2.000 Hektar Land wieder vernässt. Bis 2030 haben wir uns zum Ziel gesetzt, weitere 20.000 Hektar Moorböden zu renaturieren, also den natürlichen Wasserstand wiederherzustellen, so dass insgesamt 700.000 Tonnen CO2-Äquivalente jährlich eingespart werden. Das ist so viel, wie ca. 70.000 Deutsche pro Jahr ausstoßen.

Gibt es Pläne bzw. Strategien zur Begrünung unserer Städte? 

Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit allen Häusern unter Federführung des Umweltministeriums eine Biodiversitäts-Strategie auf den Weg gebracht, die wir in dieser Legislaturperiode umsetzen. Im Rahmen dieser Strategie soll es beispielsweise mehr Gründächer und Fassadenbegrünung geben. Klar ist auch, dass wir gemeinsam mit den Kommunen eine Klimawandelanpassungs-Strategie auf den Weg bringen müssen. Klimaschutz und Klimawandelanpassung gehören zusammen. Das ist etwas, das sehr stark in den Kommunen stattfinden muss.

Dafür braucht es doch aber unbedingt weniger Bürokratismus!

Bürokratismus findet niemand gut. Ich bin jemand, der bestehende Regelungen gerne hinterfragt. Und ich frage mich, ob das – bei den Herausforderungen, vor denen wir stehen – noch alles in die Zeit passt. Ich begrüße sehr, dass die Koalition in Berlin und auch wir hier im Land vieles auf den Weg gebracht haben, etwa beim erleichterten Ausbau der erneuerbaren Energien.

In die Zeit dagegen passt grüner Wasserstoff und da scheint das Land gut unterwegs zu sein. Warum ist Schleswig-Holstein so prädestiniert dafür, grünen Wasserstoff zu erzeugen?

Es sind vor allem drei Gründe: Zum einen haben wir hier viel Sonne und Wind und damit die Basis für viel erneuerbare Energie. Diese können wir zu einem großen Teil nutzen, um die Versorgungssicherheit des Landes sicherzustellen. Darüber hinaus können wir sie für die Herstellung von grünem Wasserstoff nutzen. Das ist auch deshalb wichtig, weil wir sonst sehr viele Stromleitungen zusätzlich bauen müssten. Zum anderen haben wir hier viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit den erneuerbaren Energien viel Geld verdient haben und sich damit nicht nur ein schönes Leben machen, sondern unternehmerisch innovativ unterwegs sind und die Weiterentwicklung der Wasserstofftechnologie vorantreiben. Der dritte Punkt ist, dass wir zwar viel Energie haben, aber vergleichsweise wenig Energienachfrage. Und das wiederum macht es attraktiv, sich als Unternehmen in Schleswig-Holstein anzusiedeln. Man kann hier grüne Energie aus dem Vollen schöpfen.

Die Infrastruktur muss aber massiv ausgebaut werden, richtig? 

Bei den Stromnetzen gibt es bereits ein sehr geübtes Verfahren. Schleswig-Holstein geht da traditionell in Vorleistung und baut die Leitungen schneller als anderswo. Der Wasserstoff-Markt entsteht gerade erst. Aktuell gibt es nur sehr geringe grüne Wasserstoffmengen. Aber auch da sind wir, gemeinsam mit den anderen norddeutschen Ländern, Treiber und bauen Pipelines für grünen Wasserstoff.

Inwieweit schafft die Landesregierung konkrete Anreize für die persönliche Energiewende?

Wir entwickeln gerade ein Programm, das die Bürgerinnen und Bürger noch mehr unterstützen soll, den Umstieg von fossiler Energie zu erneuerbaren Energieträgern zu schaffen. Wir fokussieren uns auf Bereiche, die noch nicht gefördert werden – zum Beispiel Wärmepumpen oder möglicherweise auch Übergangsstationen vom Fernwärmenetz an den Hausanschluss. Damit wollen wir die Bundesförderungen entsprechend ergänzen. Im letzten und in diesem Sommer haben wir erlebt, wie dramatisch die Lage um unser Klima ist. Und die Folgen des russischen Energiekrieges spürt jede und jeder von uns im eigenen Portemonnaie. Mein Eindruck ist, dass sehr viele Bürgerinnen und Bürger stark motiviert sind, für die Energiewende etwas zu tun.

In Ihrem Haushalt leben fünf Personen. Wie versuchen Sie in ihrer Familie Energie einzusparen?

Wir haben uns vor einigen Jahren dafür entschieden, unsere Wärmeversorgung auf Basis einer Wärmepumpe sicherzustellen. Diese ist so konfiguriert, dass sie vor allem anspringt, wenn die Sonne auch scheint, das heißt, wenn die Photovoltaikanlage voll genutzt werden kann. Der wichtigste Punkt aber, den wir zu Hause immer wieder gemeinsam diskutieren, ist die Form der Ernährung und wie wir hier einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. 

Interview: Michael Fischer

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