Dr. Kirsten Mikkelsen berät an der Europa-Universität Flensburg zum Thema Entrepreneurship und vernetzt mit WEstartupSH Frauen während der Gründung. Im Interview mit der Lebensart im Norden verrät sie unter anderem, worin die wirkliche Veränderungskraft von Gründungen durch Frauen liegt und warum Women’s Entrepreneurship noch lange nicht das Ende der Fahnenstange ist.
von Mirjam Stein
Frau Mikkelsen, was bedeutet Gründung für Sie?
Die Möglichkeit, aktiv mitgestalten zu können. Zuallererst das eigene Leben und je nach Wachstum auch Markt und Gesellschaft.
Sie waren bereits selbstständig tätig. Was ist Ihr erster Tipp für Frauen, die ein Unternehmen gründen möchten?
Zuerst gratuliere ich jeder Frau, die sich auf die Reise zum eigenen Unternehmen macht, um ihr Potenzial nutzen zu können. Gerade in der
Anfangsphase ist der Austausch mit anderen Gründer*innen und / oder erfahreneren Personen wichtig. Dabei kann es um persönliche Fragestellungen oder um Sparring im Zusammenhang mit dem Geschäftsmodell gehen. Die Idee und den (eigenen) Wert selbstbewusst nach außen zu tragen, sich treu zu bleiben; auf diese Weise können Gründende das zwar aufweichende, aber immer noch recht traditionell männlich konnotierte UnternehmERbild verändern. Und: Kenne dein Wertangebot.
Helfen Ihnen die Erfahrungen aus ihrer Selbstständigkeit jetzt dabei, andere Frauen beim Weg zum eigenen Unternehmen zu unterstützen?
Ich bin kurz nach dem Studium in die unternehmerische Selbstständigkeit gegangen. Dort konnte ich mich aber nicht richtig ausprobieren und habe aufgrund persönlicher Umstände den Weg zurück in die Wissenschaft gefunden. Aus heutiger Perspektive habe ich nicht immer die
für mich optimale Entscheidung getroffen. Diese Erfahrung hilft mir heute dabei, Gründende authentisch und empathisch zu begleiten.
Wie wichtig sind Frauen in der Gründungsszene?
Frauen beziehungsweise Personen, die nicht dem Archetyp eines Entrepreneurs entsprechen – also meist weiß und männlich – oder das mitbringen, was häufig im Kontext Start-up transportiert wird, sind eine Bereicherung. Denn sie machen die Gründungslandschaft bunter, diverser. Sie helfen, mit Stereotypen zu brechen. Insbesondere Frauen haben eine stärkere Tendenz, auch soziale Mehrwerte zu schaffen und sich stärker der Nachhaltigkeit und Diversität zu widmen. Im Grunde gilt das auch für Männer, die Geschäftsmodelle entwickeln, die nicht in die Kategorien der Trendthemen für Start-ups fallen.
Sind die Rahmenbedingungen für Frauen anders als für Männer?
Seit mehr als zehn Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Women’s Entrepreneurship. Auch wenn sich in der Forschung und Praxis
schon einiges bewegt hat, gibt es immer noch Verbesserungspotenzial. Gerade in den Anfängen zur Steigerung der Gründungszahlen ging es darum, Frauen „nur richtig zu qualifizieren“. Ihnen eine Art Leitfaden mit an die Hand zu geben, der ihnen sagte, wie sie sich am besten verhalten, kleiden und mit der Familie abstimmen. Diese starke Defizitperspektive hat sich bis heute gehalten; gleichwohl durch eine wachsende Community ein viel stärkeres Bewusstsein gerade unter den Gründungsförderern herrscht.
Wie könnte man das ändern?
Es wird wenig Fokus auf die Potenziale mancher Gründungsideen, Geschäftsmodelle und Gründerinnen gerichtet, die sich beispielsweise langsamem Wachstum verschreiben. Es geht nicht nur um die Gründenden – oder hier Gründerinnen selbst, sondern um das von ihnen transportierte Werteset. Und diese mit Weiblichkeit konnotierten Werte wie zum Beispiel Kooperationsfähigkeit, Wissensteilung und gegenseitige Unterstützung sind jene, die auch im Kontext moderner Führungsformen relevant sind. Hierin liegt für mich die wirkliche Veränderungskraft von Gründungen durch Frauen. Wir unterstützen jede Idee. Ich messe aber denjenigen eine stärkere disruptive Kraft
bei, die das Potenzial haben, auch Gesellschaft zu verändern. In diesem Sinne trägt eine höhere Beteiligung von Frauen an Gründung und Führung zu einer Veränderung an den Spielregeln im Feld Entrepreneurship bei. Die Zeit, in der sich Frauen an die (männlichen) Regeln anpassen mussten, um (unternehmerisch) erfolgreich zu sein, neigt sich dem Ende.
Gibt es regionale Unterschiede beim Thema Gründung? Wie gut sind die Voraussetzungen in SchleswigHolstein und Hamburg?
Es ist wichtig, ein Gründungsökosystem an die Gegebenheiten der jeweiligen Region anzupassen. Ein Silicon Valley in Schleswig-Holstein zu
etablieren, ist in etwa so, als wolle man Palmen in der Arktis pflanzen. Gleichzeitig halte ich das Ökosystem, das wir gemeinsam auf- und ausgebaut haben, für vorbildlich. Natürlich gibt es immer Entwicklungspotenziale, aber wir sind mit unserem StartupSH Netzwerk über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Auch WEstartupSH hat hieran mitgewirkt. Es ist allerdings wichtig zu berücksichtigen, dass auch ein gutes Unterstützungsnetzwerk langfristig finanziert werden muss. Denn das Netzwerk bestehend aus Institutionen ist realistisch betrachtet ein Netzwerk aus einer Vielzahl hochkompetenter und erfahrener Menschen, die sich alle zum Ziel gesetzt haben, Gründende in jeder Phase der persönlichen und unternehmerischen Umsetzung zu unterstützen. Ist deren Zukunft nicht gesichert, riskiert das Land, ein funktionsfähiges Netzwerk zu schwächen, wenn nicht sogar zu gefährden.
An der Uni Flensburg geben Sie einen Kurs zu Entrepreneurial Personality & Mindset. Worum geht es dabei?
In erster Linie geht es in meinem Kurs weniger um die Gründung an sich, sondern um die persönliche Entwicklung. Wir folgen daher in allen frühen Lehrprogrammen der Philosophie „Entrepreneurship as a life skill“. Ich bin der Meinung, dass die Art des Denkens und wie ich die Welt wahrnehme, eng mit der Neigung verknüpft ist, auch das berufliche Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Welche Eigenschaften sollte eine Frau für eine Gründung mitbringen?
Frauen und Männer, die gründen wollen, unterscheiden sich tatsächlich gar nicht so sehr, was Motivation und/oder Eigenschaften angeht. Was für Frauen den Unterschied zu Männern ausmacht, ist, wie sie in und von der Gesellschaft als Gründerin wahrgenommen werden. Denn nach wie vor als weniger kompetent! Die Hauptaufgabe liegt also darin, Wahrnehmung und die damit verknüpften Unterstützungsstrukturen zu verändern. Angefangen vom Beratungserstgespräch bis hin zur Finanzierung.
Wie kann WEstartupSH Frauen beim Gründen unterstützen? Welches Konzept steckt dahinter?
Wir starten mit der persönlichen Entwicklung. Im unternehmerischen Kontext geben wir den Frauen einen Raum, in dem sie durch den Austausch mit anderen, durch positive Erfahrungen und gute Stimmung ihre Selbstwirksamkeit neu erfahren können und entwickeln. Davon ausgehend behandeln wir geschäftsrelevante Themen und bieten Einzelsupport und Mentoring. Als Erfolgsformat hat sich der FEMALE Startaperitivo entwickelt, den wir gemeinsam mit Christoph Steckhahn vom Hamburger Investorennetzwerk etabliert haben. Ein Pitch Event für Women Entrepreneurs, mit dem wir der weitläufigen Aussage begegnen, es gäbe ja keine Gründungen von Frauen, in die investiert werden kann. Das Format ist so erfolgreich, dass wir es in diesem Jahr in acht Bundesländern durchführen werden. Ziel ist auf der einen Seite, Gründerinnen eine Bühne zu bieten und auf der anderen Seite insbesondere InvestorINNEN zu motivieren, als Geldgeberin einzuspringen.
Stehen demnächst weitere Veranstaltungen an? Haben Sie anlässlich des Weltfrauentags etwas geplant?
Der gesamte März wird bei uns zum „FemMarch“. Zum einen führen wir beispielsweise in Flensburg eine Ausstellungsreihe von Künstlerinnen durch. Weiterhin gibt es Netzwerk Events wie den WINspire Startup Talk mit einer unserer Mentorinnen und ihrer Mentee in Büsum. Am 29. März findet der nächste statt mit Norma Jensen und ihrer Mentee Eva Meißner, Gründerin von Drain. Tickets und Termine gibt es unter www.eventbrite.com.
Sie sehen in WEstartupSH ein „Werkzeug, um den gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten“. Warum ist dieser Wandel gerade jetzt so wichtig?
Weil wir mit dem bestehenden System an die Grenzen des Machbaren kommen. Wir brauchen Flexibilität, Gestaltungswillen und
-fähigkeit sowie eine inklusive Perspektive auf die vielfältigen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Wir kommen nicht um die Bedürfnisse junger Menschen und die Begrenzung der Ressourcen herum.
Was müsste generell anders laufen, um Frauen schon früh zur Selbstständigkeit zu befähigen? Wo und wann sollte man ansetzen?
Ich bin sehr für eine frühe MINDFUL Entrepreneurship Education, die schon in der Schule beginnt. So lernen die jungen Menschen, sich stärker ihren Interessen und Grenzen zu widmen.
Was kann der Staat tun, um Gründungen zu unterstützen?
Nicht nur der Staat, auch der private Sektor sollten der Vielfalt der Geschäftsmodelle mehr Raum geben und sich vom dringenden Fokus auf Skalierbarkeit und hohen Renditen lösen. Förderprogramme könnten Diversität und Impact auf die Sustainable Development Goals (SDG
Goals) als ein Muss-Kriterium einrichten. Und es wäre wichtig zu erkennen, dass Entrepreneurship Education und Förderprogramme meist erst mittel- bis langfristig eine Veränderung herbeiführen. Ein Öko-System aufzubauen dauert Zeit, Beziehungen brauchten Zeit; sie zu pflegen auch.
Sie möchten auch (junge) Männer für Diversität sensibilisieren. Wie gehen Sie das Thema an? Und was ist Ihr Ziel?
Uns liegt am Herzen, auch (jungen) Männern zu zeigen, welche Mehrwerte eine größere Wertschätzung von Weiblichkeit hat. Denn auch
Männer sind in Strukturen gefangen und nicht selten erfahren jene, die versuchen, sich hieraus zu befreien, Repressalien und Nachteile in Bezug auf ihre Karriere. Außerdem brauchen wir eine „neue Männlichkeit“, um auch jungen Männern und Jungs neue Role Models zu präsentieren.
Ein paar Worte zum Schluss …
Ich wünsche mir, dass aus Women’s Entrepreneurship vielmehr eine Bewegung hin zu Inclusive Entrepreneurship wird. Ein Gestaltungsraum, der der Vielfalt der Lebensweisen gerecht wird.