Drei Offshore-Windparks vor Helgoland produzieren seit 2015 sauberen Strom und bescheren der Hochseeinsel ein neues wirtschaftliches Standbein. Unsere Lebensart-Autorin informierte sich vor Ort, wie ein Windpark im Meer betrieben und gewartet wird, und fuhr an Bord eines Katamarans in den riesigen „Wald“ aus Windmühlen hinein.

Wenn man früher vom Helgoländer Klippenrandweg aus in Richtung Norden blickte, war da nichts als Wasser. Heute erkennt man bei klarer Sicht, klitzeklein und zart, eine Kette weißer Windräder am Horizont. Rund 30 Kilometer vor der Insel wurden im „HelWin-Cluster“ gleich drei Windfarmen ins Meer gepflanzt: „Amrumbank West“ von E.ON, „Nordsee Ost“ von RWE innogy und „Meerwind Süd/Ost“ von WindMW. 2015 gingen sie via Seekabel ans Festlandsnetz: Insgesamt 208 Turbinen erzeugen Ökostrom für rund eine Million Haushalte.

Neue Rolle für Helgoland

Die erneuerbaren Energien erneuern ein Stück weit auch Helgoland: Die Windfirmen haben die wirtschaftlichen Probleme des 1.400-Einwohner-Eilands weggepustet, denn der Tourismus allein brachte nicht mehr genug ein (mehr dazu im Bürgermeister-Interview). Felsige Naturschatzinsel, kriegsversehrte Steh-auf-Insel, pollenfreie Urlaubs- und zollfreie Einkaufsinsel – jetzt also auch Energieinsel. E.ON und Co. nutzen sie als Servicebasis. Im Südhafen haben sie stattliche Betriebsgebäude mit Büros und Ersatzteillagern errichtet. Herzstück jeder Station ist der Kontrollraum. Mit Blick auf die Tabellen und Grafiken etlicher Computer-Monitore steuern und überwachen die Mitarbeiter jede einzelne Windanlage. Am Kai nebenan liegen kleine Transferschiffe. Sie bringen Technikerteams zu Wartungs- und Reparaturarbeiten in die Parks. Für Tage mit zu hohem Wellengang steht auch ein Helikopter bereit. Doch wenn kein technischer Notfall herrscht, bleiben die Arbeiter bei Schietwetter an Land und erledigen Büroaufgaben.

Jan Schneider im Um­kleideraum. Hinter ihm hängen Überlebensanzüge.

100 Meter überm Meer

Heute ist so ein Tag. Jan Schneider sitzt am PC und schreibt Berichte und Auswertungen. Der Industrietechnologe für Maschinenbau und Energietechnik ist bei E.ON als Servicetechniker angestellt. Er arbeitet immer 14 Tage auf Helgoland und 14 Tage im heimischen Bamberg – dort aber für sein Studium. Ein typischer Offshore-Tag startet so: „Um 5 Uhr klingelt der Wecker, dann mache ich mich fix frisch, frühstücke was Kräftiges, um seetüchtig zu sein, packe mir noch ein Lunchpaket und laufe zum Hafen“, erzählt er. Im Rucksack hat er immer Besteck, Geschirr und einen Wasserkocher dabei, dazu dann Teebeutel, Tütensuppen, Brot, auch mal eine Dose Thunfisch, was man halt so braucht auf einer Windanlage. „Im Betriebsgebäude angekommen, ziehe ich meine Arbeitskluft an, mit Hose und Weste in Signalgelb, und gehe zum 6-Uhr-Meeting: Der Einsatzleiter erläutert kurz die Aufgaben, gibt Sicherheitshinweise und sagt den Wetterbericht an. Und er verteilt alle Jungs auf die Schiffe.“ Mädels sind nicht dabei? „Nein“.
Im Windpark setzt das Schiff die Techniker peu à peu an ihren zugeteilten Anlagen ab. Per Kletterharness an einem Sicherheitsseil eingeklinkt, erklimmen sie die Leiter des gelben „Transition Piece“ und betreten das Turm­innere. Hinauf ins Maschinenhaus geht es per Lift; Werkzeug und Material kommen per Kran nach. Die Wartungsaufgaben erinnern an eine Auto-Inspektion: „Schmierfett auf den Hauptlagern auftragen, Kühlwasser auffüllen, Öl im Getriebe wechseln, Luftfilter tauschen, Generator-Justierung prüfen, Notaus-Stromkreis und Rauchmelder testen“, zählt Schneider beispielhaft auf. Kleinere Defekte behebt jeder selbst. Bei größeren muss ein „Troubleshooter“ gerufen werden. Der Oberfranke liebt seinen Arbeitsplatz, besonders bei Sonne und nur leichter Brise: „Dann legen wir uns in der Pause gern draußen auf die kleine Heliplattform, 100 Meter überm Meer, mehr geht nicht!“

Zwei angeseilte Techniker am gelben „Transition Piece“ einer Windanlage. Dieses verbindet den Gründungspfahl mit dem Turm.

Mit Hochspannung zum Festland

Die gelben Kisten auf Stelzen im Windfeld sind Umspannplattformen. Der E.ON-Site-Manager Hartmut Grosse Bruena erläutert ihre Funktion: „Bei unserem eigenen Umspannwerk laufen die Stromkabel aller E.ON-Turbinen zusammen, und die elektrische Spannung wird von 33 KV auf 155 KV hochtransferiert. Von dort geht’s weiter zur Konverterstation des Netzbetreibers TenneT, wo eine Umwandlung in Gleichspannung erfolgt. Warum? Bei der ,Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung’ sind die Verluste unterwegs geringer. Immerhin misst das Exportkabel vom Offshore-Park bis zur Küste 85 Kilometer. Das Umspannwerk in Büttel bei Brunsbüttel wandelt dann den Gleichstrom zur Einspeisung ins Netz wieder in Wechselstrom um.“ Schon schräg, aber logistisch nicht anders möglich: Helgoland selbst kriegt vom Offshore-Strom nichts ab, die Insel wird via Seekabel vom Festland aus versorgt.
Beim Bau der Windparks haben E.ON und die anderen Firmen darauf geachtet, die Unterwasserwelt zu schonen. Das Rammen der stählernen Pfähle in den Meeresgrund ist sehr laut. Gerade für Zahnwale wie die heimischen Schweinswale, die sich per Echo-Ortung orientieren, ist das problematisch. Die Lösung funktioniert so: „Man legt Schläuche mit Düsenöffnungen rund um die Schallquelle, also den Pfahl. Dann bläst ein Begleitschiff mit Kompressoren bis zu 10 Bar Luft in den Schlauch. Sie entweicht durch die Düsen, und ein Blasenschleier entsteht. Der Schall wird so mehrfach gebrochen und minimiert“, erklärt Grosse Bruena.

Große Investion, große Ausbeute

Der E.ON-Mann betont gern, dass der Windpark „in time and budget“ fertiggestellt wurde, konkret: „In 1,5 Jahren und für etwa eine Milliarde Euro.“ Kein Wunder, dass der Betrieb sehr effizient ablaufen muss. „Regelmäßig im Frühjahr/Sommer, wenn die See weniger rau ist, findet eine große Wartungs-Kampagne statt“, so Grosse Bruena. „Jede Turbine wird bestensfalls nur einmal pro Jahr angesteuert. Unsere Philosophie ist, möglichst Teile und Komponenten auszutauschen, bevor sie kaputt gehen.“ Ist E.ON denn zufrieden mit der Windausbeute vor Helgoland? „Ja, die Windstärken liegen im Jahresschnitt bei 8 bis 9 m/s. Im Mittel verzeichnen wir bis zu 4.500 Volllaststunden jährlich, das bedeutet, dass unsere 80 3,6-Megawatt-Anlagen statistisch gesehen fast an jedem zweiten Tag ihre volle Leistung erbringen. 2016 konnten wir insgesamt 1.229 Gigawattstunden* ins Netz einspeisen.“ Und was setzt E.ON mit dem Windpark um? „Bei den jetzigen Einspeisetarifen bis zu 220 Millionen Euro im Jahr.“ Ein lohnendes Geschäft, die Energiewende.

  • 1 GWh = 1 Milliarde kWh

Interview mit Helgolands Bürgermeister Jörg Singer

Der studierte Wirtschaftsingenieur und sturmerprobte Bürgermeister Jörg Singer tut alles dafür, seine Heimat­insel zukunftssicher aufzustellen.

Die Energiewende trägt zur wirtschaftlichen Wende auf Helgoland bei – war die Offshore-Industrie Retter in der Not, Herr Singer?

Die Gemeinde Helgoland litt viele Jahre unter einer zunehmend defizitären Lage. Ohne das Geld aus dem Topf des kommunalen Finanzausgleichs hätten wir die Insel quasi dicht machen und ganz den Robben und Vögeln überlassen können. Generell ist das Leben mitten in der Nordsee natürlich teuer. Hinzu kam, dass nach der Jahrtausendwende die Zahl der Tagesgäste einbrach, von 500.000 auf unter 300.000 pro Jahr. Die Idee, für einen zollfreien Einkauf extra übers Meer zu fahren, verlor an Reiz. Auch die Urlauber wurden weniger, trotz unserer reichen Natur- und Kulturschätze. 2011 erreichte die Pro-Kopf-Verschuldung auf Helgoland 30.000 Euro!
Dann kamen die Windparks, mit ihrer Inbetriebnahme 2015 wendete sich das Blatt: Erstmals seit 1990 erzielten wir wieder ein Haushaltsplus. Nun gehören wir zu den „Geber-Kommunen“, zwei Drittel unserer Gewerbesteuereinnahmen – 24,5 Millionen Euro in 2017 – führen wir nach Kiel ab. Mit dem Rest können wir unsere Schulden tilgen, die Lebensbedingungen der Insulaner verbessern und in attraktive Touristenangeboteinvestieren. Seit dem Vorjahr kommen auch wieder 20 Prozent mehr Gäste.

Und wie kam die Insel zu ihrem neuen Standbein?

Als das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie die Windparks im „HelWin-Cluster“ genehmigt hatte, folgten jahrelange Planungen der Energiefirmen. 2010 signalisierten dann alle drei, Helgoland als Servicestützpunkt nutzen zu wollen. Der Wirtschaftsausschuss von Schleswig-Holstein plädierte dafür, und ich – gerade Bürgermeister geworden – war sofort Feuer und Flamme. Ende 2011 schnürten wir ein Investitionspaket, um die benötigte Infrastruktur in Angriff zu nehmen. Die Gemeinde nahm hierfür nochmal 10 Millionen Euro in die Hand, Unterstützung kam vom Bund und der EU. Für die Ansiedlung der Servicestationen kauften wir brachliegende Flächen im Südhafen auf, vormaliges Bundeseigentum, sanierten marode Kaianlagen und die Böden: 2.000 Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg mussten geräumt und teils entschärft werden, darunter 15 Bomben!

Also befreite sich das Seebad gleich doppelt von seinen Altlasten. Bereichern die Offshore-Firmen Helgoland auch gesellschaftlich?

Klar, wir sind froh über „frisches Blut“, also neue Menschen, die mit uns leben! Bis zu 200 Offshore-Mitarbeiter sind meist im 2-Wochen-Wechsel hier. Sie belegen Appartementhäuser und Hotels – viele sind daher jetzt auch im Winter geöffnet; sie gehen essen, fahren zur Düne, nehmen an Veranstaltungen teil … kurzum: Sie integrieren sich in unsere Hochseegemeinschaft mit all ihren Besonderheiten.

Ärgerlicherweise wurde das Top-Hotel „Atoll“ für zehn Jahre an WindMW verpachtet. Urlauber müssen draußen bleiben. Warum haben Sie das nicht verhindert?

Die Gemeinde hatte leider keine rechtliche Handhabe. Dafür bauen wir ab Herbst 2018 ein neues Hotel am Schwimmbad. Es wird in Design und Komfort ganz weit vorn stehen und wie das „Atoll“ über Tagungsräume verfügen. Helgoland ist eine tolle Tagungsinsel, ein inspirierender Ort, um kreativ zusammenzuarbeiten.

Dort könnten dann auch die Teilnehmer des „Wirtschaftsforums Offshore“ unterkommen, das Sie jedes Jahr ausrichten – zuletzt im August. Was haben Sie diesmal an neuen Ideen mitgenommen?

Einiges, zum Beispiel stellte die Firma Ampyx Power ihr spannendes Konzept für Flugwindenergie vor: Ein Segelflieger, der permanent Schleifen dreht, ist per Seil mit einer Rolle verbunden, die wiederum einen Generator antreibt. Im Vergleich zur statischen Windturbine würde man 90 Prozent Material einsparen.

Der Offshore-Strom geht ja aus logistischen Gründen zum Festland – wie wäre es mit eigenem Windstrom für Helgoland?

Zum Schutz der Brut- und Zugvögel dürfen wir keine Windräder auf der Insel aufstellen. Aber wir prüfen andere Optionen, uns mit grüner Energie zu versorgen.

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