Aminata Touré ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit: Ministerin, Feministin, mit echter Leidenschaft für soziale Themen. Und: Sie hat den Norden im Herzen. Lebensart im Norden konnte ihr zu all dem ein paar Fragen stellen – wir bekamen erfrischend ehrliche Antworten.
von Finja Thiede & Daniela Karpinski

Anzeige

Sehr geehrte Frau Touré, Sie sind in Neumünster geboren, haben in Kiel studiert, sitzen als Ministerin im Landtag: Mehr echter Norden geht ja kaum. Ist Ihre Mentalität von Ihrer Schleswig-Holsteiner Herkunft geprägt, sind Sie sozusagen „nordish by nature“? Wenn ja, wo und wie macht sich das bemerkbar?

Haha, ja das kann man wohl so sagen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir manchmal ein wenig mehr nordische Gelassenheit bei mir selbst wünschen würde, aber ansonsten kann ich das so unterschreiben. Wenn ich über einen längeren Zeitraum nicht in Schleswig-Holstein war, habe ich immer sofort gemerkt, wie sehr ich das Meer vermisse und ohne nicht kann und will.

Ministerin Aminata Touré Portrait in Kiel

Aminata Touré

Seit 2017 sitzt sie für die Grünen im Landtag in Kiel. Seit 2022 ist sie Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung für Schleswig-Holstein.

Was ist Heimat für Sie, ein echter Ort, ein innerer Ort? Sprache und Menschen, Landschaften und Speisen? Ein Gefühl? Können Sie für uns Ihre Heimat in Worte fassen?

Ich habe das in meinem Buch wie folgt in einem lyrischen Text in der letzten Strophe so beschrieben:

„Heimat ist für mich,
wo meine Freund*innen sind,
wo meine Familie ist,
wo das Meer ist,
wo ich sein kann.“

Was mögen Sie an Schleswig-Holstein?

Ich mag die Unaufgeregtheit. Ich mag außerdem die Tatsache, dass man mit Menschen in einem direkten und ehrlichen Austausch sein kann. Durch mein Amt sehe ich so viele Orte und Menschen in Schleswig-Holstein. Und während ich mich oft gefragt habe, ob ich als Teil einer Minderheit als Ministerin wohl akzeptiert werden würde, stelle ich vielerorts fest, dass die Tatsache, dass viele Schleswig-Holsteiner*innen eine Fluchtgeschichte in der Familie haben – begründet durch den zweiten Weltkrieg, durch aktuelle Kriege – dass uns genau das verbindet. Und ich freue mich über die zahlreichen persönlichen Begegnungen, in denen Menschen mit offenem Wort Zuspruch zu meiner Arbeit formulieren und aber auch deutlich ihre Erwartungshaltung an mich respektvoll formulieren.

Haben Sie ein norddeutsches oder gar plattdeutsches Lieblingswort, können Sie auf Platt fluchen?

Ich kann leider nicht auf Plattdeutsch fluchen, aber auf Französisch ganz gut. Schnacken ist mein Lieblingswort.

Ihr Job ist sehr fordernd, trotzdem bewahren Sie sich Ihre positive Aus-strahlung. Woher nehmen Sie die Kraft, wo tanken Sie auf? Haben Sie einen „Happy place“, oder einen „Safe space“?

Das freut mich sehr zu hören, dass das so wahrgenommen wird. Ehrlicherweise nehme ich die Kraft und positive Energie aus den zahlreichen tollen direkten und persönlichen Begegnungen. Und ich habe ein tolles Team im Ministerium um mich herum, mit dem es einfach nur Spaß macht, an diesen Herausforderungen zu arbeiten. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Einige sagen, er sei unnötig, andere halten ihn für enorm wichtig, weil er ja angeblich Missstände und Ungleichheiten sichtbar machen soll: Welche Bedeutung hat für Sie der Weltfrauentag?

Er ist mir sehr wichtig. Er macht jedes Jahr sehr deutlich, was die Probleme in der Geschlechtergerechtigkeit auch noch heute bedeuten. Er macht auf weltweite Probleme aufmerksam. Unsere Kämpfe sind ganz unterschiedlich, je nachdem, wo wir leben. Aber was uns eint, ist, dass wir Diskriminierung erfahren, weil wir Frauen sind. Und während einige „nur“ das Merkmal tragen, tragen andere noch weitere, die für sie zu einer mehrfachen Diskriminierung führen. Das sichtbar zu machen, schafft der Weltfrauentag.

Braucht der moderne Feminismus den 8. März überhaupt noch?

Ja, ja und ja. Wir sind noch lange nicht an dem Punkt angekommen, dass Geschlecht keine Rolle spielt.

Was war das Dümmste, was ein Mann Ihnen mal zum Weltfrauentag gewünscht hat? Und haben Sie schon mal Blumen zum Weltfrauentag geschenkt bekommen?

Puh, das Dümmste? Ach, das konzentriert sich nicht auf den Weltfrauentag, um ehrlich zu sein. Mich nervt ehrlicherweise jede Aussage, die die unterschiedlichen Realitäten der verschiedenen Geschlechter ignoriert. Und das passiert dann gerne am Weltfrauentag. Ja, Blumen habe ich auch schon an dem Tag geschenkt bekommen.

Was ist für Sie heute moderner Feminismus? Gibt’s da für Sie einen Unterschied als Privatperson und als Ministerin? Gibt es überhaupt eine Trennung zwischen den beiden?

Moderner Feminismus ist für mich, wenn die Lebensrealitäten aller Frauen und weiterer Geschlechter ernsthaft gesehen werden und auch danach gehandelt wird. Viele sind inzwischen gut darin geworden, die unterschiedlichen Realitäten benennen zu können, aber am Ende eine doch sehr selbstzentrierte Form des Feminismus zu leben. Und das ist dann kein Feminismus für mich. Nur eine solidarische Form von Feminismus ist für mich echt und modern. Und da gibt es für mich keine Trennung als Privatperson oder Ministerin.

Mit Sicherheit gibt es Frauen in Ihrem Umfeld, die Sie besonders beeindrucken. Welche Eigenschaften schätzen Sie an ihnen besonders?

Ja, die gibt es. Wenn sie eine echte Form von Feminismus leben. Wenn sie authentisch sind.

Beeindruckend ist nicht gleich inspirierend – welche Frauen aber haben Sie tatsächlich vorangebracht? Mental, persönlich, beruflich, freundschaftlich?

Viele Frauen in meinem direkten Umfeld. Und das ehrlicherweise auf allen vier Ebenen. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Ich glaube, man hat sicherlich unterschiedliche Rollen als Mensch, aber so klar lässt sich das nicht trennen. Und meistens sind die tollen Gespräche, Erlebnisse und Konflikte auf allen Ebenen gewinnbringend und bringen mich persönlich als Mensch voran.

2022 wurden Sie Ministerin und zierten das Vogue-Cover. Stand beides auf Ihrer Bucket-List? Und hätten Sie je damit gerechnet, das im selben Jahr abhaken zu können?

Ich habe keine Bucket-List. Ich weiß oft, was ich grundsätzlich möchte. Was ich verändern will und wo ich das am besten kann. Und deshalb habe ich mir dann auch vorgenommen, als Spitzenkandidatin zu kandidieren und damit auch meine Bereitschaft gezeigt, in Regierungsverantwortung ein Ministerium zu verantworten. Es ist toll, dass ich das machen darf. Und die Vogue-Anfrage war natürlich sehr cool. Aber damit hatte ich nicht gerechnet.

Wir feiern Sie übrigens sehr dafür, dass Sie Ihren Job so knallhart durchziehen und gleichzeitig einfach Frau sind.

Danke, das ist wirklich sehr nett und freut mich sehr.

Zum Weltfrauentag fallen immer wieder Begriffe wie „Starke Frauen“ oder „Powerfrauen“. Wir halten sie für kompletten Blödsinn. Niemand würde schließlich einen Mann als Powermann bezeichnen, nur weil er sich in dieser Welt behauptet. Und gibt es im Umkehrschluss überhaupt „schwache Frauen“? Wie denken Sie darüber?

Ich finde es auch nervig. Aber auf der anderen Seite erkennt es durchaus an, dass es eben nicht so leicht für eine Frau in einer Gesellschaft ist.

„Girls support girls“ – nicht nur ein Hashtag, der auf Instagram trendet, sondern auch ein immer mehr gelebtes Motto, mit dem Ziel, das Stigma der verinnerlichten Frauenfeindlichkeit zu beseitigen. Wo bilden Sie weibliche Banden, beruflich und privat?

Genau da. Ich glaube, ohne geht es nicht. Überall, wo Frauen bereit dazu sind, bin ich am Start, wenn ich die Inhalte teile.

Hat das Polit-Business Sie (schon) verändert, auf einer persönlichen Ebene?

Ja, klar. Ich glaube, dass es sogar seltsam wäre, wenn all diese Verantwortung einen nicht verändern würde.

Sind sie ernüchtert oder eher zuversichtlicher, nach dem Motto „jetzt erst recht!“? Werden Sie härter oder kompromissfähiger?

Ich mache jetzt seit sechs Jahren hauptberuflich Politik und natürlich ist man einfach geübter in politischen Prozessen, aber so wie oben erwähnt habe ich, glaube ich, nach wie vor noch sehr viel Energie und Leidenschaft und ernüchtert bin ich nicht. Es ist oftmals herausfordernd.

Hat sich Ihr Blick auf Menschen durch das Amt verändert?

Ja. Total. Sehr positiv, um ehrlich zu sein.

Was macht Ihnen am Ministerinnenamt am meisten Spaß, ganz konkret in der Alltagsarbeit?

Ich mag es, Entscheidungen treffen zu dürfen und Verantwortung zu tragen. Das ist wirklich etwas, was am meisten Spaß macht und auch gleichzeitig die größte Herausforderung ist. Und was in einem Ministerium natürlich wahnsinnig toll ist, dass es einfach für jedes Thema krasse Expert*innen für jeden Bereich gibt und bei mir im Sozialministerium sind so viele Überzeugungstäterinnen. Das ist wirklich beeindruckend.

Und gibt es etwas, das Sie bisher bewirken konnten, auf das Sie besonders stolz sind?

Ja, durchaus einige Sachen. Zum Beispiel Sprachkitas gerettet zu haben, die nicht mehr vom Bund finanziert werden. Dass wir gemeinsam mit den Kommunen jeden Tag Menschen unterbringen und versorgen, die auf der Flucht waren und doppelt so viele Unterbringungskapazitäten geschaffen haben. Dass wir mehr Geld für die Tafeln bereitstellen. Dass wir ein Hochrisikomanagement für von Gewalt betroffene Frauen fürs ganze Land ausrollen.

Die Medien, besonders die sogenannten Sozialen, gehen nicht gerade zimperlich mit Ihnen um. Wofür, gefühlt, bekommen Sie am meisten Ärger/Shitstorm ab, für Ihre Jugend, Ihre Hautfarbe, Ihre Politik?

Ehrlicherweise stimmt das nicht wirklich. In den Sozialen Netzwerken gibt es ganz andere Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, die jeden Tag noch mehr Hass erfahren. Ich erfahre ehrlicherweise viel Zuspruch und konstruktive Rückmeldungen.

Gibt es etwas, das Sie in einem Interview noch nie gefragt wurden, das Sie aber schon immer mal unbedingt erzählen wollten? Welche Fragen würden Sie sich stellen?

Puh, gute Frage. Ich glaube, ich wurde schon alles gefragt!

Vorheriger ArtikelLandgenuss vom Feinsten
Nächster Artikel„Für sie wollte ich leben“