Schnaufen, Hauchen oder Gähnen: Wenn der Atem diese Ausdrucksformen annimmt, wird er hörbar und bewusster wahrgenommen. Wir denken dann an Sport, an aufregende Filmszenen oder langatmige Reden. Doch eigentlich ist der Atem in seiner stillen allzeitigen Gegenwart nicht wirklich beschreibbar. Er ist so individuell und so intim mit uns wie kein anderer. Er ist im Alltag immer selbstverständlich da, ein bescheidener, liebevoller Freund, den wir oft nicht einmal bemerken.
Im Stress wird die Atmung dann hastig und wir nutzen nur noch einen Teil unserer Lungenkapazität. Wenn das zum Dauerzustand wird, können Symptome wie Herzprobleme, Schlafstörungen, Leistungsabfall oder Müdigkeit folgen. Ohne Essen können wir relativ lange überleben, ohne Trinken einige Zeit, aber ohne unseren Atem nur wenige Minuten. Bis zum letzten Atemzug bedeutet der Atem Leben pur. Kein Wunder also, dass er das Zentrum vieler altbewährter Gesundheitslehren ist.
Was passiert beim Atmen
Wenn sich die Einatemmuskeln, insbesondere das Zwerchfell als Hauptatemmuskel, zusammen ziehen, wird der Brustkorb in alle Richtungen geweitet. Es entsteht ein Unterdruck und dadurch strömt Luft durch Nase oder Mund in die Lunge, darüber ins Blut und in das gesamte System. Das Zusammenziehen des Zwerchfells nach unten bewirkt auch das Ausweichen der Bauchorgane, wodurch sich die Bauchdecke vorwölbt. Das Ausatmen geschieht zunächst durch das Entspannen des Zwerchfells: Es bewegt sich wieder nach oben, so kann sich die Lungen elastisch zusammenziehen und die verbrauchte Luft mit dem Kohlendioxid aus dem Körper entweichen.
Atmen im Yoga
Im Ursprungs-Yoga soll der Atem nicht beeinflusst werden, sondern leicht und sanft fließen dürfen. Das gilt auch für die meisten Yogarichtungen, die neben dem Sosein-Lassen des Atems auch das unterstützende Atmen in Kombination mit genau vorgeschriebenen Bewegungsabläufen kennen. Im Yoga geht es um die Harmonie von Bewegung und Atmung und das Erspüren von seiner Wirkung auf Körper, Geist und Seele. Eine spezielle Richtung ist das Pranayama, die Wissenschaft der Atemkontrolle. Der Atem drückt nicht nur unsere momentane Befindlichkeit aus, laut Yogalehre können wir mit ihm direkt Einfluss auf unser Wohlbefinden nehmen.
Ohne Atem keine Stimme
Nicht nur Lehrer und Sänger können ein Lied – oder eben keines – davon singen, welche Rolle das Atmen im Zusammenspiel von Stimme und z.B. Stress spielt. „Atmung, Stimme, Bewegung sind Spiegel der Wechselwirkung körperlich-seelischer Vorgänge“, erklärt Marion Malzahn, Vorsitzende der Atem-, Sprech- und Stimmlehrer (www.dba-ev.de). Durch Wahrnehmungsschulung und gezielte Übungen kann das Zwerchfell trainiert werden. Dann entweicht die Luft nicht so schnell aus der Lunge und so können z.B. auch lange Töne gelingen. Die wiederum beeinflussen die nachfolgende Einatmung positiv. Atmung und Stimme sind auch im Außenkontakt Spiegel unseres Selbst. Traurigkeit oder auch eine bloße Erkältung kann auch für uns Laien an unserer Stimme hörbar werden. So sind Übungen für die Atmung in Verbindung mit der Stimme ein Schlüssel für unsere individuelle körperliche, psychische und künstlerische Entwicklung.
Erfahrbarer Atem nach Ilse Middendorf
Diese spezielle Atemtherapie fokussiert sich auf das eigene Erfahren des Atmens und die Hingabe daran. Ich sitze bei Christiane Eckardt in ihrer Hamburger Praxis ‚Atemraum‘. „Lassen Sie den Atem von selbst kommen!“, lädt sie mich ein und ich muss zugeben, dass das ganz schön schwierig ist. „Es gibt kein Richtig oder Falsch, der Atem passt sich immer der Situation an. Und wir im Westen versuchen dann, den Atem mit dem Verstand zu kontrollieren. Das geht aber nicht“, wird mir erklärt und ich mache weiter. In Dehnungen, Druckpunkten, Bewegungen oder Tönen spüre ich, wie sich mein Atem nach diesen Übungen anfühlt. So kann nach und nach ein Bewusstsein für mein befreites Atmen entstehen. Eine schnelle Sache ist das nicht, aber anscheinend sehr wirksam.
Nase oder Mund
Ob Atemtherapeut, Yoga- oder Stimmlehrer: Alle sind sich darin einig, dass das Einatmen möglichst durch die Nase geschehen sollte. Die Luft kann dann nämlich befeuchtet und temperiert in die Lunge gelangen. Die feuchten Schleimhäute halten Bakterien zurück und der Mund wird nicht trocken. Außerdem würde bei der Mundatmung die kalte Luft direkt in die Bronchien geraten und das Erkältungsrisiko erhöhen. Und ganz wichtig: Durch den Luftwiderstand in der Nase wird die Zwerchfellaktivität gesteigert und damit die Atmung vertieft. Last not least sieht das ja auch nicht so ganz vorteilhaft aus, immer mit offenem Mund durch die Gegend zu laufen, oder?