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Unsere Arbeitswelt ist in Bewegung. Geprägt ist diese Dynamik von digitalen Methoden und Tools, ortsunabhängigem Arbeiten und dem Wunsch nach ausgeprägter Work-Life-Balance der Generationen Y und Z. Gefragt sind neue Führungsstile und Lösungen für den Fachkräftemangel. Einer, der sich im Auftrag des Landes mit all dem befasst, ist Claus Ruhe Madsen, der neue Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins. Im Interview wird deutlich: Es gibt viele drängende Themen, die er schnell angehen will, der Minister mit dänischem Pass.

Interview: Michael Fischer | Fotos: Zlatan Rasidovic

Wir leben in einer Welt, die sich so schnell verändert, versuchen aber am alten System festzuhalten“, haben Sie jüngst gesagt. Was muss sich Ihrer Erfahrung nach in Unternehmen und in unserer Gesellschaft verändern?

Wir benötigen ein neues Wertekonzept und stärker eine Kultur, in der wir Sachen ermöglichen – und nicht verhindern. Ich glaube nicht, dass ein erfolgreiches Unternehmen, Ministerium oder eine Verwaltung maximalen Ertrag erzielen kann, wenn die Führung noch an veralteten Wertvorstellungen festhält. Dazu gehört, dass wir stärker in Nachhaltigkeit investieren, aufeinander eingehen und viel mehr zulassen müssen. Denn in einer sich schnell verändernden Welt müssen wir uns mitverändern. Wir haben oft versucht, mit den Werkzeugen von Gestern die Probleme von Morgen zu lösen. Das wird uns zukünftig nicht gelingen. Der Mensch außerhalb dieser Einheiten ist im Wandel und dieser Wandel sollte auch am Arbeitsplatz wahrgenommen werden. Das heißt: Wir werden individueller arbeiten. Statt der großen Massen, müssen wir stärker auf den Einzelnen eingehen, wenn wir Menschen für uns gewinnen wollen. 

Sie sprechen aus Erfahrung als ehemaliger Unternehmer einer Möbelhaus-Kette sowie als ehemaliger IHK-Präsident und Oberbürgermeister von Rostock? 

Ganz genau. Denn in diesen unterschiedlichen Zusammenhängen habe ich begriffen, dass jeder Mensch anders ist. Deswegen brauchen wir einen Kulturwandel. Ausdruck dafür ist ein hohes Maß an Respekt füreinander. Wir können keine Standardmuster haben, wie was zu erledigen sei, sondern wir müssen auf die Stärken des Einzelnen eingehen. Das erfordert enorm viel Mut auf allen Seiten. Die Führungskräfte müssen es einerseits zulassen, dass etwas anders gelöst wird, als sie es machen würden. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die die volle Verantwortung bevorzugen und selber entscheiden wollen, wie sie eine Aufgabe lösen. In diesen Fällen finde ich es gut, wenn man Sparringspartner ist und sich austauscht und diskutiert. Allerdings gibt es auch noch viele Menschen, die gerne geführt werden wollen. Diese erwarten eine stringente Führung. All das macht unsere Arbeitswelt so komplex.

Arbeiten Menschen besser, wenn man Ihnen vertraut?

Davon bin ich felsenfest überzeugt! Ich selbst habe immer auf Basis gegenseitigen Vertrauens gearbeitet. Vom Spruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ halte ich nichts. Ich muss doch Menschen motivieren, mitnehmen und überzeugen. Wenn ich sie dazu noch kontrollieren würde, hätte ich sie direkt wieder verloren. 

Wie führen Sie Ihre Mitarbeitenden? 

Als Führungskraft mag ich es gerne, wenn man mir zwei bis drei Vorschläge macht und ich kann wählen. Das macht es für mich einfacher. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ist auf diese Weise immer in die Entscheidung eingebunden, da er oder sie die Alternativen vorlegte.

Was halten Sie von sogenannten agilen Prozessen?

Mit agilen Arbeitsmethoden versuchen ja mittlerweile zahlreiche Unternehmen, schwerfällige Arbeitsabläufe aufzubrechen und Organisationen flexibel zu halten. Wenn man sich unvoreingenommen einem Problem stellt, ist man immer agil. Ein Problem richtet sich schließlich nicht nach meinen Arbeitsmethoden – sondern genau andersherum. Agil heißt, man beginnt morgens mit dem vorgesehenen Tagesablauf und merkt im Laufe des Tages, dass man genau diesen Ablauf über Bord werfen muss. Denn ein auftretendes Problem richtet sich nicht nach meinem Schema, sondern ich habe mich vielmehr daran zu orientieren, was kommt. Natürlich hat jeder seine Aufgaben zu erfüllen, da wir Termine einzuhalten haben. Aber trotzdem müssen wir in der Arbeitswelt kurzfristig reagieren, wenn neue Schwerpunktthemen aufkommen oder wenn wir plötzlich vor unvorhersehbaren Herausforderungen stehen. Agil bedeutet daher für mich die Bereitschaft, das Andere liegen zu lassen. 

Sie haben in Ihrem Arbeitsleben schon viele Bewerbungsgespräche geführt. Worauf achten Sie dabei besonders?

Natürlich immer auf den Schulabschluss (lacht). Nein, im Ernst:Zunächst zählt der erste Eindruck. Ich achte darauf, ob jemand etwas Besonderes an sich hat. Mich überzeugt sofort, wenn Menschen für etwas brennen. Dann weiß ich: Das kann nur ein guter und richtiger Mitarbeiter sein. Aber natürlich muss bei vielen Vorstellungsgesprächen geprüft werden, ob die Qualifikationen gegeben sind. Ich selbst stelle grundsätzlich nur Menschen ein, die etwas besser können als ich. Sonst brauche ich sie nicht. Es gibt Führungskräfte, die haben Angst vor starken Menschen. Ich bin genau anders herum. Es macht wenig Sinn, schwache Persönlichkeiten einzustellen, damit man selber stark aussieht.

Ist die Zeit der Alphatiere auf Führungsebene vorbei?

Viele reden davon, dass die Zeit zu Ende geht, aber ich sehe noch viele Alphatiere, die sich nach vorne drängen. Der kooperative Führungsstil, bei dem Führungskräfte und Mitarbeitende partnerschaftlich zusammenarbeiten nimmt zwar zu, doch diese Entwicklung ist noch langsam. Wie bei der Fehlerkultur wird viel darüber gesprochen, aber noch zu wenig akzeptiert und umgesetzt.

Stichwort Fehlerkultur: Haben Sie in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn große Fehler gemacht oder sind Sie irgendwann gescheitert?

Wenn man aus Fehlern lernt, würde ich zumindest sagen, dass ich bisher ein sehr lehrreiches Leben hatte. Damit bin ich auch zufrieden. Sich einzugestehen, dass man etwas falsch angegangen ist – dazu gehört Mut. Niemand ist fehlerfrei. Nur Menschen, die auch viel tun, machen auch viele Fehler. Das Wichtigste ist, dass man sich und seinem Kompass treu bleibt. Dann ist ein Fehler nie schlimm. Manchmal bin ich überrascht, was als Fehler kategorisiert wird. Wenn Sie analytisch ein Thema angehen und dann anhand von Parametern feststellen, dass ein Projekt nicht umsetzbar ist, dann bezeichnen das viele als Fehler oder Scheitern. Wenn es Probleme gibt, spreche ich sie lieber direkt an. Ich denke, eine solche Vorgehensweise ist viel gesünder und vermeidet dieselben Fehler in der Zukunft.

In welchen Situationen haben Sie in Ihrer beruflichen Vergangenheit – ob im Möbelhaus oder als Oberbürgermeister – am meisten gelernt? 

Man lernt ja nicht nur durch Fehler, sondern auch dann, wenn man auf neuem Terrain unterwegs ist. Wichtig ist, neugierig und offen zu bleiben. Dann lernen wir. Ich liebe es auch, draußen vor Ort unterwegs zu sein. Wenn ich Leuten begegne, verstehe ich ihre Probleme auf einmal. Ich stehe auf einer Brücke und erkenne, warum wir sie neu bauen müssen. Lässt man sich immer nur extern beraten, fährt man zwar mit 300 Stundenkilometern, aber man schaut dabei in den Rückspiegel. Bei der Geschwindigkeit sollte man aber nach vorne blicken. 

Stichwort: Fachkräftemangel. Mit welchen Maßnahmen könnte ein Land wie Schleswig-Holstein dem entgegenwirken?

Kurz gesagt: Indem man viel für sein Image tut und seine Stärken nutzt. Wir müssen Schleswig-Holstein zu einem grünen Industrieland entwickeln und moderne und interessante Arbeitsplätze schaffen. Viele junge Menschen wollen die Welt verbessern und kämpfen für nachhaltige Industrie und Technologie. Und dieses Momentum sollten wir nutzen. Was den Wettbewerb um Fachkräfte angeht, so müssen wir die jungen Menschen dort abholen, wo sie ihre Zeit verbringen. Deswegen beschäftigen wir uns als Landesregierung zum Beispiel mit dem Thema Gaming und versuchen, junge Menschen über Computerspiele zu gewinnen.

Wie schätzen Sie es für den Pflegebereich ein? In dieser Branche fehlen besonders viele Auszubildende und Fachkräfte. 

Bei Pflegekräften wird viel zu oft nur über die finanzielle Lage gesprochen. Natürlich müssen Menschen vernünftig bezahlt werden. Aber zwei Sachen halte ich in dem Zusammenhang für sehr wichtig: Wertschätzung und Inhalt. Wenn ich eine Pflegekraftausbildung angehe, möchte ich Menschen helfen und pflegen. Aber wenn mittlerweile der Arbeitsalltag von Pflegekräften viel zu sehr damit befasst ist, irgendwas zu kategorisieren und zu dokumentieren, verlieren viele Menschen erstens ihre Zeit am Menschen und zweitens verlieren sie das Interesse an ihrem Job. Also müssen wir das, was sie eigentlich wollen, wieder stärker in den Fokus bringen. Wir müssen deutlich digitaler werden und ihnen helfen, möglichst wenig Zeit mit Papierkram zu verbringen. Dann würde die Freude an der Arbeit wieder steigen und dieses Berufsfeld auch wieder attraktiver werden. 

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