„In Wacken regnet’s doch immer.“ – Ja ja, der Spruch darf natürlich nicht fehlen. Und klar, ein bisschen Schlamm gehört hier zum guten, braunen Ton – aber wenn wir ehrlich sind, war 2024 beinahe schon luxuriös trocken. Zum Glück. Nach dem Ausnahmezustand im letzten Jahr hatte man fast das Gefühl, der Wettergott wollte sich entschuldigen. Die Gummistiefel? Dabei, aber eher als Festival-Merch mit Funktion. Kein Versinken bis zum Knie, keine Festivalanreise per Schlauchboot – der Holy Ground zeigte sich von seiner gnädigeren Seite. Und die Metalheads? Die kamen trotzdem mit allem, was gegen Wetter, Staub und Zufall schützt – für alle Fälle. Man ist ja vorbereitet.
Die Erinnerungen an 2023 waren dennoch spürbar. Wie schnell sich alles ändern kann, wissen in Wacken eben alle. Und genau das war auch dieses Jahr wieder Teil der besonderen Atmosphäre: eine Mischung aus Vorfreude, Respekt vor der Natur und diesem unverwüstlichen Gemeinschaftsgefühl, das nur auf diesem einen Acker entsteht. Ob man im Bulli schläft oder im Zelt, auf der Plaza mit Bier anstößt oder bei Sonnenaufgang schon oder noch mit Fremden über die besten Metal-Riffs philosophiert – hier ist niemand wirklich fremd.

Line-Up der Extraklasse
Das Line-up 2024? Hexenwerk! Im besten Sinne. Unter dem Motto „Witches & Warlocks“ wurde Wacken zur Bühne für Legenden, Kultfiguren und Neuentdeckungen. Scorpions lieferten eine Rockshow wie aus dem Bilderbuch, während Amon Amarth mit Äxten, Feuer und amtlichem Bühnenbild zeigten, dass sie live weiterhin eine absolute Naturgewalt sind. Opeth verschmolzen wundervoll Technik mit Atmosphäre, Behemoth im Hellen funktionieren auch – und Korn zeigten einmal mehr, dass Nu Metal live besser funktioniert als sein Ruf und schüttelten den Boden bis zum Nord-Ostsee-Kanal einmal knackig durch.

Überraschungen? Mehr als genug: Alligatoah brachte seine ganz eigene Eskalationsästhetik zwischen Satire und Nachdenklichkeit mit. Feuerschwanz, In Extremo – alle im Zeichen des gepflegten Mittelalter-Bretts. Dazu gesellten sich epische Auftritte von Blind Guardian, Avantasia und Sonata Arctica, gefolgt von knallharten Sets von Watain, Pain, Cradle Of Filth und Mayhem, die die Nacht zu ihrer Bühne machten.
Wer auf Progressive- oder Modern Metal stand, wurde von Architects, Spiritbox, Motionless In White, Textures, Baroness, Bury Tomorrow und Brutus bedient. Beast In Black lieferten hymnische Metal-Opern mit Ohrwurmfaktor. Knorkator bewiesen wie immer: Zwischen Wahnsinn, Kunst und Klamauk passt noch eine Packung Krach. Dragonforce legten ein Gitarrengewitter über das Infield, während The Darkness das Glam-Revival ausriefen.

Auch Legenden fehlten nicht: Gene Simmons elektrisierte das Publikum und stand Kindern auf der Bühne Rede und Antwort und Accept zeigten, dass klassischer Teutonenstahl nie rostet. Mr. Big, Sweet, Suzi Quatro und Sebastian Bach schlugen überragend Brücken zu goldenen Rock-Jahrzehnten. Thrash-Fans kamen zum Beispiel bei den großartigen Testament voll auf ihre Kosten. Die wundervolle Anneke Van Giersbergen spielte dazu einen bezaubernden Akustik Gig in der pickepackevollen Wackener Kirche.
Und dann war da noch der Tanz auf den Tischen: Flogging Molly und Blues Pills verbanden Pub-Feeling mit Rock’n’Roll. Für viele war das vielleicht sogar das versteckte Highlight des Wochenendes.
Doch das eigentlich Beeindruckende: Wie reibungslos diesmal alles lief. Nach dem Chaos im Vorjahr war die Logistik ein Glanzstück – von der Anreise über das Gelände bis hin zum sanitären Notfallmanagement. Ein neues Access-Pass-System sorgte für entzerrte Zufahrten, Staus? Fehlanzeige.
Auch digital wurde aufgestockt: Mit einem festen und acht temporären 5G-/LTE-Masten sowie rund 145 Terabyte Datenverkehr lag Wacken festivalintern auf Platz 1 im Telekom-Netz. Wer nicht vor Ort war, konnte über MagentaTV mehr als 120 Shows live verfolgen – an bis zu 14 Stunden pro Tag. Über 90 Konzerte waren später on demand verfügbar. Die mehr als eindrucksvolle Drohnenshow mit rund 400 Drohnen ersetzte das Feuerwerk und setzte ein großes Zeichen für Nachhaltigkeit. Und wer unbedingt wissen wollte, wie viel Bier der Nachbar trinkt: RFID-Cashless-Systeme sorgten für schnelle und transparente Bezahlvorgänge. Kein Kleingeld, kein Stress, kein Diebstahl – einfach Metal.

Apropos Infrastruktur: Der Strombedarf lag bei rund 12 Megawatt, über 323 Kilometer Kabel wurden verlegt und einige tausend Toiletten sorgten für Entspannung – zumindest auf dieser Ebene.
Ein besonderes Highlight: Der neue „Walk of Legends“ mitten im Dorf. Mit Handabdrücken großer Rock-Acts startete diese Hommage an die Giganten – unter anderem mit den Scorpions und Doro. Eine schöne Erinnerung und ein Zeichen für die tiefe Verbindung zwischen Festival und Fans. Wacken bleibt eben nicht auf dem Acker stehen – es wächst hinein in Dorf, Kultur und Geschichte.
Mit insgesamt rund 200 Bands auf neun Bühnen, etwa 85.000 Besucher:innen und einer Fläche von 360 Hektar (das sind rund 500 Fußballfelder) bleibt das Wacken Open Air eine logistische und emotionale Großtat. Dass es wieder schnell ausverkauft war? Ehrlich gesagt: keine Überraschung. Wer einmal da war, will wieder hin – egal ob bei Regen oder Sonnenschein.
Und als zum Abschied per Drohnenshow wieder einmal das große „See you in Wacken – Rain or Shine“ über dem Nachthimmel flimmerte, wussten es schon alle: 2025 kann kommen. Man hat das Zelt längst wieder gepackt. Denn Wacken ist eben mehr als Musik. Es ist ein zu Hause auf Zeit im Zelt – und das meistens bei Sonnenschein.
Text: Börbel
Fotos: Börbel (2) / WOA Festival GmbH (3)