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Marco Müller vom Restaurant RUTZ in Berlin ist mit 3 Michelin-Sternen und einem grünen für seine nachhaltige Küche Deutschlands bester Koch. Im Rahmen des 37. Schleswig-Holstein Gourmet Festivals (SHGF) sprach Susanne Plaß mit ihm über seinen neuen Küchenstar: den Karpfen.

„Wir wollen eine filigrane Küche, ohne die Produkte durch Fett oder Sahne zu erschlagen“

Marco Müller / Foto: Susanne Plass

Hallo Herr Müller, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Karpfen auf die Speisekarte zu integrieren?

Beim Angeln in einem Flusslauf schwamm ein 30 kg-Karpfen zwischen meinen Beinen hindurch und brachte mich auf eine Idee: In meiner Kindheit gab es Karpfen nur an Heiligabend oder Silvester. Dass Karpfen nicht häufiger auf deutschen Speisekarten stand, lag sicherlich an den viele Gräten und am modrigen Geschmack. Meine Challenge: Ich wollte ein Karpfen-Gericht kreieren, das es mit Thunfisch aufnehmen kann. Seitdem arbeiten wir im RUTZ sehr viel mit Karpfen.

Wie schaffen Sie es, dass der Karpfen nicht so modrig schmeckt?

Fisch schmeckt nach dem, worin er schwimmt! Sauberes Wasser, die Fließgeschwindigkeit und die Jahreszeit, zu der der Karpfen abgeerntet wird, spielen eine wichtige Rolle. Im Oktober kühlt das Wasser runter, die Wasserpflanzen ziehen sich zurück. Der Karpfen filtert die kleinen Algenteile nicht mehr und ist sauber im Geschmack. Wird das Wasser wärmer und der Pflanzenanteil größer, fängt dieser modrige Geschmack wieder an. Deshalb verkaufen wir den Karpfen nur von Oktober bis Mai. Wichtig ist die Art der Schlachtung. Thunfische werden in Japan „ike jime“ geschlachtet, was ihnen einen stressfreien Tod beschert. Dem Fisch wird ein Stab sauber durch den Rücken gebohrt, alle Nervenbahnen dabei gekappt und er stirbt sofort. Ein leichter Schnitt an der Schwanzflosse dient dem Ausbluten. Dann geht der Karpfen für 24 Stunden ins Eiswasser und danach für vier Tage in unseren Trockenreifungsschrank. Das gibt ein brillant schmeckendes Fleisch. Wir beziehen unsere Karpfen aus der Müritz mit kristallklaren Flussläufen und idealen Futterbedingungen, denn der Karpfen snackt gern Flusskrebs und bekommt dadurch eine rote Fleischfarbe und einen intensiven Geschmack. 

Man kennt Karpfen blau oder Karpfenfilet. Wie bereiten Sie den Karpfen für die Gourmet-Küche zu? 

Wir verwerten den Karpfen vom Maul bis zur Schwanzflosse. Aus den Resten machen wir Garum, auch wenn das zehn Monate dauert. Sein Rogen schmeckt elegant und nussig. Daraus entsteht bei uns ein getrockneter Bottarga und mit 2% Salz Karpfenkaviar. Wenn wir um die Gräten filetieren ist das entspannter, als sie zu ziehen. Aus dem Rücken wird Tatar, die Rippchen streichen wir mit Barbecue Sauce ein und grillen sie auf Holzkohle. Das schmeckt spektakulär! Als Begleitung zum Karpfentatar haben wir Apfelessig mit Yuzu angesetzt. Das Garum geben wir als natürliches Salz dazu, das gibt dem Ganzen Kraft und Eleganz. Zum Tatar setzen wir Holunder, dessen Triebe wir im Frühjahr sammeln und sauer einlegen. 

Dry aged Müritz Karpfen und Holunderblatt, Molke. / Foto: RUTZ

Wie kommen Sie auf diese ausgefallenen Ideen?

Mit einem gesunden Forschergeist. In der Lehre habe ich die altdeutsche Küche kennengelernt, auf meinen Stationen die französische und italienische. Damit schloss ich dann ab und entwickelte eine eigene Handschrift, fokussierte mich auf heimische Aromen und Produkte. Was unsere Esskultur angeht, bekommt Deutschland nicht flächendeckend die gleiche Wertschätzung. Das möchte ich ändern! Wir wollen eine filigrane Küche, ohne die Produkte durch Fett oder Sahne zu erschlagen. Mit Methoden wie das Fermentieren halten wir die Aromen. Die Wiederverwertbarkeit bzw. den besonderen Eigengeschmack vom Tier in einer konzentrierten Form zurückzugeben, das haben wir uns auf die Fahne geschrieben. 

Welche nachhaltigen Prinzipien verfolgen Sie beim Karpfen? 

In den 80ern waren die Flüsse so verdreckt, dass die Fische wahrscheinlich einen Quecksilbergehalt von einem Fieberthermometer aufwiesen. Die Natur hat sich erholt mit sauberen Flüssen. Heute können wir heimische Karpfen verarbeiten und brauchen keine Fische von Übersee. Man sieht derzeit, dass die Dorsche in der Nordsee durch die 2-3 Grad Wassererwärmung nach Skandinavien wandern. Dafür kommen mehr Hummer, Taschenkrebse und Tintenfische in die Nordsee. Dieser Wechsel in der Natur ist auch für unsere Restaurants interessant und bietet nachhaltige Möglichkeiten. Nach jetzt 20 Jahren RUTZ bin ich noch genauso begeistert und entdecke immer neue, spannende Verfahren.

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