Der massive Ausstoß von Kohlendioxid beschert uns nicht nur den Klimawandel, das Gas verändert auch die Chemie im Meer: Die Ozeanversauerung bedroht Muscheln, Schnecken, Korallen und sogar Fische. Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel verraten mehr.

Anzeige
Janina Büscher und Dr. Armin Form begutachten Proben der Kaltwasserkoralle Lophelia pertusa. (Fotos: Solvin Zankl)
Dr. Lennart Bach mag Feldforschung ebenso wie Laborarbeit.

Emiliania, lange Zeit hatte Dr. Lennart Bach nur Augen für sie! Um sie zu betrachten, muss er allerdings ein Mikroskop benutzen, denn Emiliania huxleyi ist eine nur fünf Mikrometer kleine einzellige Meeresalge. Dafür kommt sie weltweit in ungeheurer Fülle vor, und ihre türkisfarbenen „Blüten“, Zeichen für eine sprunghafte Vermehrung, sind sogar aus dem Weltraum sichtbar. Als Phytoplankton bildet sie mit anderen Mikroalgen die Basis des Lebens im Meer. Lennart widmete ihr seine Doktorarbeit am Kieler GEOMAR, wo er im Team Biologische Ozeanographie vor allem zu pflanzlichen Plankton-Gemeinschaften forscht. „Ich finde, sie sieht aus wie ein Fußball“, bemerkt der junge Biologe, als er 1000-fach vergrößerte Bilder am PC zeigt. Man könnte auch an eine Weihnachtskugel denken, jedenfalls besitzt Emiliania eine auffällige Hülle aus ovalen, gerippten Kalkplättchen. „Genau diese Schutzhülle könnte künftig zur Achillesferse werden, denn durch die Ozeanversauerung wird die Bildung von Kalk erschwert“, sagt Lennart. Unter der Leitung von Prof. Dr. Ulf Riebesell, Lennarts Chef, haben sich Wissenschaftler des GEOMAR und weiterer 19 Institutionen vor acht Jahren zum Forschungsverbund „BIOACID“ zusammengeschlossen, um dem Thema Ozeanversauerung auf den Grund zu gehen.

Mesokosmen-Experiment im norwegischen Raunefjord.
In den Versuchstanks wird die Ozeanversauerung simuliert.

Kohlensäure im Meer
Wir fangen zu viel Fisch, wir verschmutzen den Ozean mit Plastikmüll, giftigen Abwässern, Düngemitteln und Erdöl … kein Wunder, dass er sauer auf uns ist, haha! Doch Versauerung meint ein anderes menschengemachtes Problem: Das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), das wir täglich in die Luft pusten, wird auch von den Meeren aufgenommen. Zwar wird es dort auch verwertet – Pflanzen vom Riesentang bis hin zu mikroskopischem Phytoplankton à la Emiliania brauchen das Molekül für ihre Photosynthese. Doch das gesunde Maß ist längst überschritten.

„In Wasser gelöst, reagiert CO2 teilweise zu Kohlensäure, wie in der Limo oder im Mineralwasser“, sagt Lennart. „Infolge sinkt der pH-Wert des Meeres, es wird also saurer. Dabei verringert sich die Konzentration der Karbonat-Ionen, die für den Aufbau von Kalk notwendig sind.“ Man muss die chemischen Prozesse dahinter gar nicht kapieren, aber jeder weiß wohl aus der Praxis, dass sich Kalkflecken im Bad mit Essig- oder Zitronensäure-Reiniger entfernen lassen. „Wenn wir mit der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas so weiter machen wie bisher, könnte der pH-Wert des Meeres bis zum Ende des Jahrhunderts von jetzt 8,1 auf 7,7 sinken“, warnt der GEOMAR-Forscher. „Das klingt vielleicht harmlos, bedeutet aber eine Zunahme des Säuregrads um 150 Prozent!“
Bedroht sind prinzipiell alle Meeresbewohner mit Skeletten oder Schalen aus Kalk, also auch Muscheln, Schnecken, Seeigel, Seesterne und riffbildende Korallen: Für Unterwasser-Paradiesgärten wie das australische Great Barrier Reef, das schon heute von der Korallenbleiche gezeichnet ist, bedeutet das zusätzlichen Stress.

Tropische Korallenriffe sind doppelt bedroht: durch die Erwärmung und Versauerung des Meerwassers. Trübe Aussichten für Riffbewohner wie diese umschwärmte Goldband-Süßlippe.

Experimente mit XXL-Reagenzgläsern
Um herauszufinden, wie ausgewählte Organismen mit den prognostizierten Bedingungen im Jahr 2100 tatsächlich klarkommen, starteten die „BIOACID“-Forscher diverse Experimente. Feldforschungen sind grundsätzlich besonders aufwändig – und manchmal auch sehr aufregend: So nahm Lennarts Kollegin Janina Büscher im norwegischen Trondheim-Fjord ihren ganzen Mut zusammen, stieg in das Tauchboot „Jago“ und rauschte 300 Meter in die schwarze Tiefe. Als der Pilot den Scheinwerfer anschaltete, staunte sie über einen riesigen „Wald“ aus weißen, gelben und orangeroten Blumentieren. Mit Hilfe von hydraulischen Greifarmen nahm Janina Proben der Steinkorallenart Lophelia pertusa. Zurück in Kiel fand sie heraus, dass das Tier in saurerem Wasser zwar überleben kann, doch bereits abgestorbene Korallenstöcke, die ja das Fundament heutiger Riffe bilden, wurden in den Versuchstanks angegriffen.
Lennart nahm an sechs „Mesokosmen“-Experimenten in verschiedenen Meeresregionen teil. „Man muss sich die Mesokosmen wie riesige Reagenzgläser vorstellen. An einem Schwimmkörper hängt ein 20 Meter langer Foliensack, mit dem wir eine Wassersäule mit allen darin lebenden Organismen einschließen“, erzählt er. „Fünf unserer Mesokosmen ließen wir unberührt, weitere fünf haben wir mit CO2 versetzt.“ Fast jeden Morgen fuhren die Forscher bei Wind und Wetter mit kleinen Booten raus, schöpften Proben und schauten sich später unter dem Mikroskop an, wie sich die Lebensgemeinschaften verändert hatten. Wie befürchtet, hatten Kalkbildner wie Emiliana im Milieu der Zukunft das Nachsehen, während andere Algen von mehr CO2 profitierten. Die Wissenschaftler mutmaßen, dass die Versauerung das ganze Ökosystem kräftig durcheinander wirbeln wird. Lennart: „Wenn schon wichtige Planktonarten am Anfang der Nahrungskette ausfallen, kriegen alle, die sich von ihnen ernähren oder anderweitig von ihnen abhängen, ein Problem! So kommt eine Kettenreaktion in Gang, in der es einige Gewinner, aber natürlich auch Verlierer geben wird.“ Da stellt sich die Frage: Wird auch der größte Räuber von allen, der Mensch, zu den Verlierern gehören?

Viele kranke und tote Fischbabys
Dr. Catriona Clemmesen ist Fischereibiologin und leitet am GEOMAR die Arbeitsgruppe Fischlarvenökologie und Aquakultur. Sie zählt zu den erfahrenen ExpertInnen im Haus. Aufgerüttelt vom Buch „Das Drama der Meere“ von Elisabeth Mann Borgese, beschloss sie 1978, Meeresbiologie zu studieren, „in der Hoffnung, dass die Meere vielleicht doch noch zu retten sind.“ Im Aquarium des Instituts, nur ein paar Schritte von ihrem Büro entfernt, steuert sie auf das Heringsbecken zu und beobachtet lächelnd, wie die silbern glänzenden Tiere elegant durchs Becken schwärmen. „Ein beruhigender Anblick“, findet sie. Weniger beruhigend sind Catrionas jüngste Forschungsergebnisse zu Herings- und Dorschlarven. Die Kielerin wollte wissen: „Hat saureres Meerwasser möglicherweise direkten Einfluss auf die empfindlichen Fischlarven – und wenn ja, welchen?“
In einem ersten Versuch arbeitete sie mit Histologen zusammen, die feine Schnitte von Herings- und Dorschlarven anfertigten. Die Gewebeschnitte zeigten, dass beide Arten unter beschädigten Organen litten. Alarmiert davon, machten Catriona und ihr Team weitere Experimente, um die Sterblichkeit von Fischlarven unter heutigen und künftigen Bedingungen zu vergleichen. „Zunächst organisierten wir Dorschlaich von Tieren aus dem Öresund“, erzählt sie und wechselt vom Herings-, zum Dorsch­aquarium, wo bis zu 50 Zentimeter große Exemplare umherschwimmen. „Wir haben dann je 1.000 geschlüpfte Larven in mehrere Meerwassertanks gesetzt“, so Catriona weiter, „und was dann kam, war äußerst mühsam. Baby­dorsche sind ja nur drei Millimeter groß und nahezu durchsichtig. Wir saugten daher einmal täglich den Boden der Tanks ab, um die toten Larven herauszuholen und zu zählen.“ In allen Becken waren viele Opfer zu beklagen, was die Forscher aber nicht überraschte: „Fischlarven sind enorm empfindlich, besonders in den ersten Wochen“, erklärt Catriona. „Aber in den Tanks mit dem saureren Meerwasser starben deutlich mehr Tiere. Doppelt so viele!“ Auch in einem zweiten Experiment mit Nachwuchs von Dorschen aus der Barentssee kam dieser Wert heraus. Die Biologin schüttelt seufzend den Kopf. „Das sind schockierende Aussichten. Denn nachdem wir unsere Zahlen in Fischereimodelle übertragen hatten, mussten wir feststellen, dass Fischer damit künftig nur noch 8 bis 24 Prozent der heutigen Dorschressourcen zur Verfügung hätten.“

Fischlarven wie diese Babydorsche sind ohnehin empfindlich. Experimente zeigten: Saureres Meerwasser verringert ihre Überlebenschance.

Runter mit den CO2-Emissionen!
Die Forscherin räumt allerdings ein, dass dieses Ergebnis nicht für sämtliche Dorschpopulationen der Welt gelten könne. So gäbe es auch Bestände, die schon heute unter Bedingungen leben, die zum Ende des Jahrhunderts erwartet werden: „Im Bornholmbecken zum Beispiel schwanken der Sauerstoff-, und Salzgehalt und auch pH-Wert stark – zwischen 8,4 und 7,2 – und die Dorsche kommen damit klar! Doch sie haben sich wahrscheinlich über einen sehr langen Zeitraum darauf eingestellt.“ Wäre es denn auch denkbar, dass sich Fische schneller an sauereres Wasser anpassen? „Es gibt Mechanismen, die hoffen lassen“, antwortet Catriona. „Stichwort Epigenetik. Dabei werden bestimmte Gene in den Zellen aktiviert.“ Trotzdem gibt sie keinerlei Entwarnung. Dr. Catriona Clemmesen spricht für das gesamte „BIOACID“-Team, wenn sie fordert: „Wir müssen den weltweiten CO2-Ausstoß drastisch reduzieren, um das Klima zu schützen und die Ozeane in Balance zu halten. Genauso wichtig ist es, dass wir deutlich weniger und schonender Fisch fangen, um die Bestände auf einem hohen Niveau zu halten. Damit sie widerstandsfähig sind und den Herausforderungen von heute und morgen trotzen.“ Die Forscherin will am Dorschthema dran bleiben und weitere wichtige Arten ins Visier nehmen. Als nächstes ist die Sardine dran, noch so ein Speisefisch, der Millionen Menschen ernährt.

www.geomar.de; www.bioacid.de

Vorheriger ArtikelMeerumschlungen
Nächster ArtikelWildes Schleswig-Holstein mit allen Sinnen genießen