Wenn jemand eine Geschichte vom Meer zu erzählen weiß, dann doch wir. Wir Schleswig-Holsteiner. Umgeben gleich von zwei Meeren, der tosenden Nord- und der lieblichen Ostsee, durchkreuzt von einer der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt, gesäumt von tiefen Förden, geprägt von eiszeitlichen Seen. Schleswig-Holstein meerumschlungen.

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Unendlich viele Eindrücke. Schleswig-Holstein ist zum Geschichtenerzählen prädestiniert. Wenn wir diese noch mit der Anzahl unterschiedlichster Wetterzustände multiplizieren und die wiederum mit den Jahreszeiten und den Monaten malnehmen … des Taschenrechners Anzeige braucht alle Stellen der Darstellbarkeit, die Zahl der Geschichten nähert sich der Unendlichkeit. Wer ist denn nun aber der beste Geschichtenerzähler? Ich denke, einen Bestseller ins Ohr geflüstert bekommen kann man in den meisten Fällen nur von der Natur.

Jede Welle eine Geschichte

Das fängt mit diesem Geradeaus-Blick an. Gehören Sie auch zu denjenigen, die stundenlang auf das Meer starren können? So wie man regungslos suchend in ein Lager- oder Kaminfeuer blickt? Irgendetwas ist da draußen, das zieht einen dermaßen in den Bann, geradezu hypnotisch hat das Meer uns im Griff. Dabei muss es keinesfalls seelenruhig sein. Stürme erzählen vielleicht die dramatischsten Geschichten. Da ist das Adrenalin bereits in den Adern, obschon das Vorwort noch gar nicht zu Ende gesprochen wurde. Lange, hohe Wellen rauschen gegen den Strand. Jede Welle eine Geschichte für sich. Mächtig, nackt, salzig, erbarmungslos. Wer weiß, woher sie kommen. Einige haben schon Tausende von Kilometern hinter sich. Ein Orkan vor Island. Haushohe Wellen. Womöglich haben die bereits dort Schiffe und Crews auf eine sehr harte Probe gestellt. Vielleicht war die berüchtigtste aller Wellen dabei, die „Freak-wave“. Eine Monstersee, die für sich alleine schon aus jedem Taschenkrimi einen Thriller macht. Ihrer Heimtücke freien Lauf lassend hat möglicherweise genau diese Welle, die da gerade den Strand am weitesten hochläuft, anderen Menschen schweren Schaden zugefügt. Ein Schiff in Seenot gebracht, ein anderes gekentert. So wie damals, als mitten im stürmischen Mittelmeer eine Freak-Wave, 32 Meter hoch, einem zehnstöckigen Hochhaus gleich nahezu senkrecht hochstieg. Wie eine Wand war sie von jetzt auf gleich da, rannte auf ein Kreuzfahrtschiff zu und machte die Situation im Grunde genommen aussichtslos. Es sind diese Geschichten, die irgendwo immer eine Passage haben, die unglaubwürdig klingt. Diese Stellen, bei denen man sich in den nicht vorhandenen Bart nuschelt, das wäre doch nun so gar nicht möglich. Als wenn die Geschichte zu lang würde, der Umfang auf ein Soll heruntergefahren werden muss, koste es, was es wolle, und sei es die Glaubwürdigkeit. Aber solche Wellen gibt es. Wie damals bei dem Kreuzfahrtschiff, es hat die Welle überstanden und „überlebt“, Zeitzeugen existieren.

Riesenkraken und andere Seeungeheuer

Was die „Freak-Wave“ die Welle an der Wasseroberfläche ist, ist die Riesenkrake die Bewohnerin der Tiefsee. Stockfinstere Gruselgeschichten, die jahrhundertelang das Unmögliche erzählten. Als „Seeungeheuer“ bezeichnete Riesenkalmare hätten früher ganze Schiffe in die Tiefe gerissen. Damit konnten die Geschichten vom Meer um einen weiteren Horrorfaktor erweitert werden, ohne dass es Beweise hinsichtlich ihrer Existenz gab. Nie gab es ein Foto, einen glaubwürdigen Beleg. Bis vor vier Jahren, als es japanischen Meeresbiologen zum ersten Mal glückte, Fotos und Bewegtbilder von einer Riesenkrake in 900 Metern Tiefe aufzunehmen. Ästhetik und Ungeheuerliches trafen aufeinander. Schauer über den Rücken laufend gehören auch hier dazu. Oft hat die Fantasie die Vernunft nicht mehr im Griff. Wer kann es schon mit einem glubschigen bis zu 500 Kilogramm und 13 Meter langen Fabelwesen aufnehmen. Und doch haben wir keine Gefahr zu verspüren, diese Kraken haben keine Ambitionen, zu uns an die Wasseroberfläche zu kommen. Es sei denn unfreiwillig, sie verfangen sich in einem Fischernetz. Das ist schon passiert.

Gänsehautmomente: von Grusel bis Romantik

Ist die Rede vom Meer, ist die See in vielen Fällen bösartig, wenigstens bedrohlich. Das hält die Hörerschaft bei der Stange. Die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren sammelt bei der Hörerschaft mehr Aufmerksamkeit ein als Emotionen in der Lage sind zu tun – zumindest, was das Erzählen und Schreiben angeht. Dabei ist das Meer hochemotional im romantischen Sinne. Die meisten von uns versuchen im Urlaub einen Ort zu finden, wo das Wetter gut ist. Gutes Wetter bedeutet Vielen: wenig Wolken, viel Sonne. Wenig Wolken heißt Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge betrachten, beobachten, erleben zu können. In Gelb, Orange, Rot – plötzlich sitzen wir wieder vor dem Lagerfeuer. Dieses Mal in doppelter Ausführung. Glattes Wasser erlaubt Spiegelungen und sorgt für eine nachhaltige Dosis. Die Faszination des Farbtons, da ist er, der romantische Bann. Alle für möglich gehaltenen Gruselgeschichten sind schlagartig vergessen. Adrenalin ‘runter, Endorphine ‘rauf. Ab sofort macht das Meer mit uns was es will. Weiche Geschichten, gute Erzählungen, romantische Stimmungen. Von nun an geht es um Gefühle, Kennenlernen, Näherkommen, Ausprobieren, Berühren. Platz für das Beachvolleyballturnier am Nachmittag an derselben Stelle ist jetzt keiner mehr – wie ausgelöscht. Glutrotes Meer zwingt in Konsalik-Metaphern zu denken, ob man will oder nicht. Es sind andere Geschichten.

Was haben wir ein Glück! Weit fahren müssen wir ihrethalben nicht. Gefühlt „um die Ecke“ gibt es unendliche Geschichten vom Meer – Schleswig-Holstein – meerumschlungen macht es möglich.


Buchtipp

Am Rand der Welt- Eine Geschichte der Nordsee und der Anfänge Europas
Die Nordsee ist das Meer der Wikinger und der Hanse. Aber sie ist noch viel mehr. Bereits im Mittelalter überquerten Heilige und Spione, Philosophen und Piraten, Künstler und Händler die raue See. Michael Pye erzählt spannende Geschichten rund um das gar nicht so dunkle Nordmeer, vom frühen Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert, der Zeit, in der es Europa zu dem machte, was es heute ist. Dabei schildert er, wie immer wieder neue Entdeckungen und revolutionäre Ideen über das Wasser getragen wurden. Endlich wird die tausendjährige Geschichte von der Geburt Europas im Norden fulminant zum Leben erweckt.
S. Fischer, Hardcover, 480 S., 26,- Euro


Wat dat Meer vertellt …

von Birgitt Jürs

Mien Fründin Lisa is een echte Norddütsche, – so as ick. Wi beiden sünd dormit opwussen, dat de See op beide Sieden vun uns Land nich wied entfernt is. Dat is för uns nich blots een Sommervergnöögen to’n Baden un in’n Sand buddeln, nee, wi föhrt ok geern mol an de Nordsee, wenn de Storm de Gischt över den Sand drifft oder wenn dat Ies in Winter mit de Floot över dat Watt kümmt.

Dat is een Naturschauspeel, dat nich mehr so oft vörkümmt. Lisa is dor een echte Expertin, wat dat Geföhl för de See anlangt. Wenn se in’n Sommer den Vörslag maakt, wi schullen abends noch nah Schönbarg rutföhren, denn kriggt wi bestimmt sowat as een deep hängenden rosaroden Maand över dat Water oder Meereslüchten to sehen. Lisa hett ok een Geföhl dorvör, wenn een vun uns Sorgen hett oder eenfach nich good op’n Draht is. Denn kiekt se mi an un fragt: „Hest du dree Stünnen Tied? Laat uns an’t Water gahn!“ Meist pedd wi denn de ersten fiefhunnert Meter af, bevör een vun uns wat seggt. Wi kiekt blots de Wellen to, de op den Strand loopt, pumpt de Lungen vull mit goode Seeluft, de so’n beeten na Seegras un Muscheln rükt. De Wind weiht uns de Hoor in’t Gesicht oder stramm na achtern, dat de Sorgenfolden glatt trocken ward. Wenn een bit över den Horizont kieken kann, denn stööt de Gedanken ok nirgendwo an. De künnt sick dor ganz anners entwickeln. Miteens sammelt Lisa een Steen op. „Kiek mol“, seggt se, „roden Granit, de kümmt ut Sweden, hett de Iestied hier liggen laaten un de See hett em rund wuschen.“ Mennigmol hebbt wi Glück un find een Donnerkiel oder een versteenerten See-Igel. Wi sinneert, wo lang de dor woll all liggt un wo de herkaamen is. Denn kiekt wi wedder op dat Water un de Wellen, de jümmerto vör un trüchloopt. Jümmer dat sülvige Water siet Dusende oder sogor Millionen vun Johren. Dat duert meist nich länger as een halve Stünn, denn is de Kopp wedder free, denn kann ick mi as „Krümel“ in dat grote Universum wedder insorteeren un mien Probleme sünd jüst so afschüert as de Steen ut roden Granit.

Op den Trüchweg is de Stimmung ganz entspannt un mennigmol fallt uns beiden wedder in, dat wi as Kinner dorvun dröömt hebbt, eenmol so een rosa Muschelkästchen to hebben oder een grote Muschel an’t Ohr to hoolen, dat se uns de Geheemnisse vun’t Meer vertellt.

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