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Jana Stieler schreibt Psychothriller. Hier spricht sie über das Zusammenspiel von Ängstlichkeit und der Anziehungskraft von Abgründen, über die Liebe zum Norden und über ihr neues Buch, das zeigt, dass selbst „Brackwasser“ an der Schlei reichlich Potenzial für Gänsehautmomente birgt …

Lebensart im Norden: Liebe Jana, du beschreibst dich selbst als Angsthäsin. Woher kommt deine, widersprüchlich erscheinende Begeisterung für Abgründe und Spannung?
Jana Stieler: Ich habe mal irgendwo gelesen, dass sehr viele Thriller-Leser*innen große
Angsthasen sind. Bevor ich Thriller-Autorin wurde, war ich begeisterte Thriller-Leserin. Ich
glaube, man nennt es den kathartischen Effekt. Wenn man das Schreckliche auf Papier bringt, wirkt es plötzlich kontrollierbar. Meistens gibt es am Ende eine Auflösung, das Böse ist bezwungen oder gefasst. Das ist wahnsinnig beruhigend, vor allem, wenn man eher ängstlich ist. Das echte Leben ist viel chaotischer. Ich glaube, deswegen setzt man sich dem Schrecken gerne kontrolliert aus, in dem Wissen, dass sich am Ende alles klärt.

Was hat dich dazu bewegt, selbst Bücher zu schreiben?
Das sagen vermutlich alle Autor*innen, aber ich habe immer gerne geschrieben. Zuerst habe ich andere Bücher geschrieben – Wohlfühlbücher könnte man sagen. Ich dachte, ich müsste Wohlfühlbücher schreiben, weil ich mich dem Unangenehmen nicht aussetzen wollte. Aber die unangenehmen Gedanken oder Ängste sind ja trotzdem da. Insofern fühle ich mich jetzt beim Thriller erst wirklich zu Hause.

Was macht für dich einen guten Thriller aus?
Ich finde es immer schade, wenn Spannung durch besonders krasse Gewaltexzesse erzeugt
werden soll. Das allein erzeugt für mich keine Spannung. Mir ist es lieber, wenn sich die Spannung ein bisschen langsamer aufbaut, sich eher unterschwellig einschleicht. Aber das ist mein persönlicher Geschmack.

Warum passen der Norden und Thriller für dich so gut zusammen?
Ich mag die skandinavischen Thriller-Serien, die skandinavischen Landschaften. Je nachdem, wie man die Landschaft ins Licht setzt, kann es entweder Bullerbü sein, oder es ist das Düsterste, was man je gesehen hat. Wenn ich so eine Idylle sehe, suche ich immer automatisch nach Abgründen. Was versteckt sich da gerade im Schilf? Was lauert da hinten im dunklen Wald? So ähnlich empfinde ich es an der Schlei. Damit habe ich die passende Landschaft für meinen Thriller gefunden.

Hast du einen Lieblingsplatz im Norden?

Ganz klar, die Schlei. Die Gegend rund um Missunde. Wir haben einen kleinen, ausgebauten Camper und sind oft für ein langes Wochenende auf dem Campingplatz. Aber ich bin auch gerne direkt am Meer – besonders angetan hat es mir die Hohwachter Bucht.

Warum ist letztendlich die Schleiregion der Schauplatz für „Brackwasser” geworden?
Während meines Volontariats bei den Kieler Nachrichten habe ich eine Weile in der Eckern-
förder Lokalredaktion gearbeitet. So habe ich die Schleiregion kennengelernt. Der Ort, der
Pate für das Dorf in meinem Buch stand, ist Misshunde. Der Ort wird nirgendwo benannt. Absichtlich nicht, denn ich habe die Gegebenheiten in meiner Geschichte angepasst. Ich brauchte einen relativ großen, düsteren Wald. So viele große, düstere Wälder gibt es an der Schlei ja nicht. Aber in Missunde gibt es immerhin einen Wald und die Fähre. Das passte alles ganz gut. Am Ende meines Buches entschuldige ich mich auch noch einmal bei der schönen Region (lacht).

Gibt es reale Ereignisse oder Erfahrungen, die in die Handlung von „Brackwasser”
eingeflossen sind?

Da arbeite ich wie die meisten Autor*innen mit Versatzstücken. Man schnappt etwas in
der Presse auf, man schnappt ein Gespräch in der Bahn auf, man hat schon einen Gedanken
im Kopf. Man merkt schnell, dass ich mich ein bisschen am Gedankengut von Querdenkern,
Reichsbürgern und Preppern für die Geschichte bedient habe. Ich benenne das im Buch nicht explizit. Ich wollte keine Schublade öffnen, die mich beim Schreiben einschränkt. Ich habe angefangen, zum Beginn der Corona-Zeit über die Geschichte nachzudenken. Die Menschen fühlten sich bedroht, manche bunkerten Klopapier ohne Ende oder entwickelten Verschwörungstheorien. Da kam mir diese abgeschiedene Gemeinschaft im Wald in den Kopf, mit der sich die Hauptfigur Svea auseinandersetzen muss, weil ihre Schwester inzwischen ein Teil von ihnen ist.

„Wenn man ein Buch schreibt, überträgt man vermutlich immer etwas vom eigenen Selbst
auf die Figuren.“

Wie hast du die Charaktere, insbesondere Svea, entwickelt? Gibt es reale Vorbilder?
Wenn man ein Buch schreibt, überträgt man vermutlich immer etwas vom eigenen Selbst
auf die Figuren. Nun sind die Figuren alle sehr gegensätzlich, zum Teil sogar böse. Aber man braucht ein Verbindungsglied, um die Figuren zu erschaffen. Man muss manchmal auch ein bisschen in den eigenen Abgründen wühlen. Ich bin natürlich nicht wie die Figuren, aber ein ganz bisschen von mir tragen wahrscheinlich alle Figuren in sich und natürlich auch etwas von Menschen, die ich auf der Straße treffe. Die Charaktere setzen sich aus vielen Puzzleteilen zusammen. Aber ich habe keine bestimmte, reale Person vor Augen, wenn ich die Figuren entwickle.

Hast du eine Lieblingsfigur?
Auf Anhieb hätte ich natürlich gesagt: Svea, meine Hauptfigur. Doch dann hat sich auch ihr jüngerer Neffe, der 13-jährige Torge, klammheimlich zu einer Lieblingsfigur gemausert. Es war nicht ganz leicht, meine Lektorin zu überzeugen, eine Kinderperspektive mit aufzunehmen. Aber Torge hat sie zum Glück überzeugt. Ich habe ihn genau vor mir gesehen, wusste genau, wie seine Stimme klingt. Ich war echt ein bisschen verknallt in die Figur. Der Kinderblick durchschaut vielleicht nicht alle Zusammenhänge, er kann trotzdem sehr entlarvend sein. Und das finde ich an Kinderperspektiven auch so genial.

Was dürfen die Leser*innen von „Brackwasser” erwarten?

Atmosphärische Spannung! Ein bisschen Gewalt gibt es natürlich auch, aber es ist nicht allzu blutig. Ich finde es wichtiger, schlüssige Figuren zu entwickeln, die eine emotionale Tiefe haben. Dadurch ist das Tempo vielleicht nicht ganz so rasant wie in manchen anderen Thrillern. Aber ich finde, letztendlich kommt es der Spannung zugute. Es ist eher eine psychologische, atmosphärische Spannung.

Das Interview führte Maya Schukies.

Buchtipp

Jana Stieler: Brackwasser Stille Wasser sind tief. Und manche sogar tödlich …
Limes, 368 Seiten,
17 Euro

Foto: privat

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