Es gibt Leute, die haben im reifen Alter von 35 Jahren entdeckt, dass die nächstgelegene Volkshochschule ab Herbst ein Weinseminar anbietet. Das besuchen sie, nippen ein bisschen an allem Möglichen, hören sich schlaue Sachen an, kaufen etwas bewusster ein und kriegen spätestens mit 40 vielleicht bißchen mehr Durchblick beim Weintrinken.
Das kann zwei Folgen haben: Gruppe A nervt ab diesem Zeitpunkt mit ständigem Gefasel über Weine, lässt keine Tropfen unter mindestens 10 € Einkaufspreis über die vermeintlich austrainierten Geschmackswarzen rollen und geht ans Weintrinken ran wie der Papst an den Zölibat: Im Besitz der ewigen Wahrheit. Gruppe B nimmt die ganze Sache zunächst als Anregung, schließt im Weinseminar nette Bekanntschaften, aus denen sich zwei Liebschaften und drei Freundschaften entwickeln. Die B-Leute scheuen sich überhaupt nicht, unbekannte Billigweine zu konsumieren, wenn die Lage es angenehm oder erforderlich macht. Daraus manchmal resultierende kleine Irritationen der Peristaltik ertragen sie lässig. Ihre Qualitätsansprüche jedoch verteidigen sie – freundlich, aber nicht verbissen.
Dieser zugebenermaßen etwas grobe Zerfall der kulinarischen Welt in gelassene und verbissene Kulinariker lässt sich überall beobachten. Die einen verzehren nach Lektüre von drei Starkochbüchern nur noch Hühner aus der Bresse und dulden keine Nudel auf dem Teller, die nicht über einer Bronzewalze in der berühmten Kleinstmanufaktur, na Sie wissen schon wo, in Form gebracht wurde. Die anderen entlocken auch Aldi-Bandnudeln geschmackliche Flötentöne angenehmerer Art, ohne je die Bewunderung für edle Pasta zu verlieren. Eine Currywurst ist für sie kein Straftatbestand und wenn die Hungerödeme kurz vor dem Ausbruch stehen, dann sieht man derart entspannte Leute auch mal bei McDonalds. Das hält sie überhaupt nicht davon ab, qualitätsbewusst und locker und so gut es geht regional einzukaufen und zu kochen. Denn sie schrecken nicht vor einem Masthahn aus der bäuerlichen Nachbarschaft zurück und würden nie behaupten, man könne nur die zweifellos großartigen Viecher aus der Bresse zu sich nehmen.
Natürlich ist dies Verhalten (wie alles, was mit Essen und Trinken zu tun hat) eine Frage der kulturellen Sozialisation. Die kann großzügig oder eher verkniffen ausgefallen sein. Wenn sich eine eher verkniffene Disposition mit Intelligenz und im Raffmodus erworbenem Fachwissen paart, dann erzeugt diese Mischung Zeitgenossen, die das Prädikat „aufgedrängte Bereicherung“ (vulgo: Blödmann) verdienen. Eine gemeinsame Tafelrunde lässt, völlig klar, aufgedrängte Bereicherungen besonders unangenehm werden. Vermutlich sind Essen&Trinken als Kulturgegenstände am wenigsten für verbissene Bekenntnisse geeignet. Wer sich für Gummibärchen aus weltanschaulichen Gründen zu schade ist, der taugt auch nicht für Kaviar.