Baugruppenprojekte boomen – in der Stadt ebenso wie auf dem Land. In Gemeinschaft zu planen, zu bauen und zu wohnen ist kostengünstiger, ermöglicht wertvolle Synergie-Effekte und eine intensiv gelebte Nachbarschaft. Lebensart stellt einige inspirierende Projekte aus Hamburg vor.

Lars Straeter steht auf dem Flachdach der ehemaligen Pestalozzi-Schule in St. Pauli und lässt den Blick genüsslich über sein buntes Kiez-Quartier und die Hamburger Skyline schweifen. Hingucker in der Nähe sind die „Tanzenden Türme“ an der Reeperbahn, der Bunker am Heiligengeistfeld, und am Horizont schwingt sich die Elbphilharmonie gen Himmel. Noch ist die 200 Quadratmeter große Dachterrasse bis auf einen neu verlegten Lärchenholzboden kahl – doch Straeter malt sich schon aus, hier ab dem Frühjahr zwischen duftenden Blumen im Strandkorb zu sitzen und mit seinen Mitbewohnern zu grillen und Cocktails zu schlürfen. „Zur Gestaltung unserer Terrasse sammeln wir noch Ideen: Vom Insektenhotel bis zur selbstgebauten Sitzlandschaft aus Euro-Paletten, von Gräsern im Kübel bis zum Naschgarten im Hochbeet ist alles drin“, erzählt der studierte Architekt vorfreudig.

Vom Baubetreuer zum Bewohner

Die „Wohnschule“ in der Kleinen Freiheit, ein denkmalgeschützter Gustav Oelsner-Bau von 1928, ist nach vier Jahren Planungs- und Umbauzeit gerade erst bezugsfertig geworden. Sie ist das Projekt einer Bauherren- und nun Eigentümergemeinschaft. Lars Straeter hatte zunächst nur beruflich damit zu tun: Nachdem sich die Gruppe mit dem Architekturbüro Heyden und Hidde bei der Stadt um das Gebäude beworben und gegen elf Mitbewerber durchgesetzt hatte, engagierte sie als Baubetreuer Lars Straeter von der Firma Conplan. Im Lauf der Zusammenarbeit entwickelte sich starke gegenseitige Sympathie. „Mir wuchsen die Baugruppenmitglieder derart ans Herz, dass ich kurzerhand in ihre GbR miteinstieg und mir eine eigene Wohnung im Haus sicherte“, sagt Straeter. 20 Wohnungen wurden überwiegend in den alten Klassenzimmern untergebracht, der Nachzügler suchte sich eine kleinere Einheit im 1. OG aus, die er mit offener Küche und Schlafempore gestaltete.
Bauen ist ein komplexes Geschäft und nicht selten ein Abenteuer. Mit Betonung auf teuer. Professionelle Baubetreuer helfen, Pannen zu vermeiden. Sie begleiten gemeinschaftliche Vorhaben auf Wunsch vom Konzept bis zum Einzug und vertreten die Interessen der Gruppe gegenüber allen Planern und ausführenden Gewerken. Neben Conplan kümmern sich in der Hansestadt auch die Firma Stattbau Hamburg und die Lawaetz-Stiftung um Wohnprojekte, ob im individuellen Eigentum oder auch in Form einer Genossenschaft. Und als zentrale Beratungsstelle gibt es die Agentur für Baugemeinschaften in der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Baubetreuer übernehmen auch betriebswirtschaftliche und juristische Aufgaben – sie gestalten etwa Finanzierungspläne, Kaufverträge und Teilungserklärungen. Zudem bereiten sie Gruppensitzungen vor und moderieren sie. In solchen Sitzungen treffen die Mitglieder alle möglichen Entscheidungen – vom Energiekonzept bis zum Farbanstrich des Treppenhauses und der Auswahl einer Lichtschalterserie.

Demokratie in Harmonie

Die meisten „Wohnschüler“ kennen sich seit langem aus dem Buddhistischen Zentrum Hamburg, wo sie teilweise schon zusammen wohnten. Eine gute Ausgangslage. Der Conplan-Projektentwickler glaubt auch, dass ihre buddhistische Lebenshaltung dazu beitrug, dass die Treffen immer sehr harmonisch und entspannt abliefen: „Es gab nur selten längere Diskussionen. Keiner versuchte, vehement eigene Vorstellungen durchzudrücken – das kenne ich auch anders!“
Wer Toleranz und Kompromissbereitschaft mitbringt, kann sich über etliche Vorteile einer Baugemeinschaft freuen: Erstens liegen die Kosten deutlich unter denen von Investorenprojekten mit Gewinnspekulation. In der begehrten HafenCity etwa kann der Unterschied schon mal 2.000 Euro pro Quadratmeter betragen. Zweitens wird aus der Bau- später eine Art Wohngemeinschaft: Man lebt nicht so anonym nebeneinander her, wie es in normalen Mehrfamilienhäusern oft der Fall ist – eben auch dank der „Begegnungsflächen“. Wobei wir beim dritten Punkt wären: In einer Gruppe kann man sich Wohnqualitäten erlauben, die allein undenkbar wären. Wer hat schon als einzelner mitten in Hamburg eine riesige Dachterrasse zur Verfügung? Oder eine eigene Turnhalle? Sie ist ein weiterer Clou der „Wohnschule“. Die frisch renovierte Halle wird dem Sportverein FC St. Pauli zur kostenlosen Nutzung überlassen, aber die Bewohner wollen sie natürlich auch selbst nutzen – laut Straeter auch mal für Yoga oder Kinoabende. Die Unterhaltung der Halle finanziert die Gruppe durch die Vermietung von Schulaula und Foyer als Büro- und Gastroflächen.

Geteilter Raum – mehr Freiraum für alle

Auch bei etlichen weiteren Conplan-Projekten kreierten die Bauteams tolle Extras für alle: Im jüngst fertig gestellten 70-Parteien-Haus „Dock 71“ in der HafenCity entsteht gerade eine Dachgartenlandschaft zum Motto Elbe und Hafen: Per Kran wurden bereits zwei Seecontainer – einer mit Küche, einer mit Toilette – aufs Dach gehievt. So kann die Open-Air-Party steigen! Unten gibt es neben Gewerberäumen eine Kita und einen Multifunktionsraum mit Küche. Die Ahrensburger Gruppe „Wilde Rosen“ verwirklichte bis 2015 rund um ihre Öko-Haussiedlung einen Kuppelbau für Seminare, weitläufige Zier- und Nutzgärten, eine Freizeitfläche mit Bolzplatz, Seilbahn und Rodelhügel – und selbst für eine Pferdekoppel reichte der Platz.
Würden mehr Leute, die ein Häuschen im Grünen anstreben, zusammen bauen und wohnen, könnten ländliche Neubausiedlungen viel attraktiver gestaltet werden. Die Realität sieht meist so aus: Jede Partei verfügt über ein kleines „Handtuchgrundstück“ und schirmt es mit hohen Hecken ab. Und in jedes Gärtchen passt kaum mehr als ein Trampolin, ein mickriges Beet und ein Geräteschuppen. „Bei den ,Wilden Rosen‘ werden nicht nur Geräte wie Rasenmäher selbstverständlich geteilt: Circa 60 Menschen teilen sich sechs Autos, und das funktioniert“, berichtet Lars Straeter begeistert. Die Gruppe setzt im Übrigen auf Inklusion und integrierte 24 betreute Wohnungen und ein Café für behinderte Menschen in ihr neues Zuhause. Straeter nennt ein anderes Beispiel aus Lüneburg, das in besonderem Maße den Gemeinsinn fördert: „In einem Baudenkmal aus Feuerwache und Kaufmannshaus wurde mit Hilfe einer Stiftung ein Kulturraum für Flüchtlinge eingerichtet – nebst zweier WGs für deutsche und ausländische Studenten.“

Mitgestaltung mit Einschränkungen

Auch wegen ihrer Idee, einen inklusiven Fahrradladen mit Werkstatt im Haus unterzubringen, erhielt die Gruppe „Gleis 4a“ den Zuschlag für ein Baufeld im neuen Quartier „Mitte Altona“. Zwei Mitglieder, Anna und Hans-Jörg, treffen sich mit Lebensart in einer Kneipe neben der Großbaustelle. Ihr Haus auf dem Gelände des stillgelegten Güterbahnhofs ist noch Zukunftsmusik – Anna hat Ansichten und Grundrisse mitgebracht. „Die Stadt überzeugte auch, dass sich unsere Wohnungsgrößen an den Vorgaben für geförderten Wohnungsbau orientieren“, erklärt sie. „Weniger Platz für einzelne gleichen wir durch mehr Platz für alle aus.“ Teil des ökologischen Konzepts von „Gleis 4a“ ist eine Solarthermieanlage auf dem Dach. „Außerdem wollen wir Vogelnisthilfen und Fledermausquartiere an der Fassade anbringen“, erzählt Hans-Jörg. Er deutet auf den Kellergrundriss mit einem großen geplanten Fahrradraum: „Wir sind alle radelverrückt. Viele von uns hatten sich auf Initiative der Lawaetz-Stiftung für eine komplett autofreie „Mitte Altona“ eingesetzt, doch unsere Vision scheiterte leider. Die Stadt schrieb uns sogar vor, eine Tiefgarage mit PKW-Stellplätzen zu bauen.“ Mitgestaltung war für ihn ein wichtiges Argument, sich einer Baugruppe anzuschließen. Doch so viele Freiheiten habe man dann doch nicht, bedauert er. So gab es seitens der Oberbaudirektion Vorgaben zur Architektur, für seinen Geschmack ist der von DFZ-Architekten entworfene Bau zu nüchtern und klotzig geraten.

Soziales Netzwerk im Haus

Für Anna, zweifache Mutter, war das Thema Nachbarschaft ein Zugpferd. Die Gruppenmitglieder sind zwischen 30 und Mitte 60, neben Singles und Paaren überwiegen junge Familien. „Ich freue mich auf gemeinsame Aktionen mit Kindern und gegenseitige Unterstützung: Zum Beispiel könnten Mütter und Väter im Haus gegenseitig mal auf eine Kinderschar aufpassen, während die anderen ausgehen“, sagt Anna. Hans-Jörg bietet spontan an, als „Märchenonkel“ regelmäßig Lesestunden für die Lütten abzuhalten. Jeder hat etwas anderes in die Gemeinschaft einzubringen. Die einen sind handwerklich begabt, andere organisieren gern Feste oder machen sich als Wellensittich-Sitter nützlich. Zusammen ist man eben stärker.

Vorheriger ArtikelIn spanischem Rotwein eingelegte Poulardenbrust
Nächster ArtikelSo bauten wir unser Traumhaus