Der mit 20.000 Euro dotierte Hindemith-Preis zeichnet im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals herausragende zeitgenössische Komponist*innen aus. In diesem Jahr geht er an den Komponisten Benjamin Scheuer.
Melodien eines singenden Papageis, Geräusche von ein- und ausfahrenden Zügen, Lachanfälle oder brummendes Schnarchen sind nur einige der im Alltag gefundenen Klänge, die Benjamin Scheuer auf die Bühne bringt. Seine Werke sind spielerisch-humorvoll, erzählen Geschichten und eröffnen durch ihre sprachähnliche Struktur einen weiten Assoziationsraum. „Meine Musik soll unterschiedliche Anknüpfungspunkte bieten, so mag eine Person ein Stück als lustig empfinden und eine andere Person als deprimierend“, sagt der 37-Jährige.
Klänge und Alltagsgeräusche
Wie ein Forscher sucht Benjamin Scheuer nach eigenartigen Klängen – und wird nicht nur fündig bei allerlei Alltagsgeräuschen, sondern auch bei quietschenden Gummischweinen oder Instrumenten wie dem „Waldteufel“, einem schnarrenden Perkussionsinstrument. In der gemeinsamen Arbeit mit Musiker*innen ergründet er neue Spieltechniken und Ausdrucksweisen, um das traditionelle Klang-Repertoire der Instrumente zu erweitern. „In der Musik geht es darum, neue Wege zu finden. Zeitgenössische Musik hat Unterhaltungspotenzial und niemand soll sich langweilen, egal, ob Schulklasse oder Fachpublikum“, sagt er.
Eine eigene Sprache gefunden
Die vielfältige Klangpalette des Komponisten sowie die Leichtigkeit seiner Werke überzeugte die Jury des Hindemith-Preises 2025: „Benjamin Scheuer hat seine eigene Sprache gefunden. Mit außergewöhnlichen Musikinstrumenten schafft er eine Musik, die bei allem handwerklichen Können auch voller Humor ist. Zudem macht ihn seine Fähigkeit, mit dem Publikum in den Dialog zu treten, zu einem bemerkenswerten Musikvermittler“, begründet Dr. Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, die Juryentscheidung.
Kartenvorverkauf ab Februar
Die Verleihung des Hindemith-Preises findet am Montag, 11. August 2025, um 19.30 Uhr im Forum für Baukultur in Kiel statt. Karten für das Preisträgerkonzert sowie reguläre Tickets sind ab 27. Februar 2025 unter bestellung@shmf.de sowie unter Tel.: 0431 / 23 70 70 bestellbar.
Alte Papst-Rede als Arbeitsgrundlage
Im Interview verrät Benjamin Scheuer, was ihn inspiriert, warum der Austausch mit Interpret*innen für ihn wichtig ist und welche außergewöhnlichen Klänge er bereits in seinen Werken genutzt hat.
Herr Scheuer, wie sind Sie zum Komponieren gekommen?
Mit Beginn der Schulzeit habe ich angefangen, Blockflöte an der Jugendmusikschule Hamburg zu lernen. Dort haben wir allerdings keine Noten bekommen, sondern sollten die Stücke, die wir gelernt haben, selbst aufschreiben. Ich hatte sofort das Bedürfnis, die Stücke weiterzuschreiben und selbst zu komponieren. Ich fand es schon immer interessanter, etwas selbstständig zu schaffen, anstatt fleißig Etüden zu üben.
Wie würden Sie Ihren Kompositionsstil beschreiben?
An der Oberfläche: spielerisch-humorvoll mit einer breiten Palette an Klängen. Hier arbeite ich sowohl mit dem traditionellen Klangrepertoire von Instrumenten als auch mit recht abgefahrenen, absurden Geräuschen.
Auf einer zweiten Ebene möchte ich Geschichten erzählen und versuche, wie in der Sprache, Sätze zu bilden. Dabei ist die Form sehr präzise, ähnlich wie bei einem Stand-up-Comedian, bei dem es auch auf das richtige Timing ankommt. Es genügt nicht nur, Witze zu erzählen; entscheidend ist auch, wie und wann man sie anbringt.
Was inspiriert Sie?
Die Begegnung mit anderen Menschen. Das kann ein bestimmter Ausdruck sein, eine Art, wie ein Mensch spricht, oder ein Lachen. Aber auch Klangobjekte jeder Art inspirieren mich. Ich habe eine riesige Sammlung von Vogelstimmen bis zu Perkussionsinstrumenten zu Hause.
In Ihren Kompositionen nutzen Sie mit Vorliebe ungewöhnliche Klänge. Was waren bislang die skurrilsten Klang-Fundstücke, die Sie für Ihre Kompositionen genutzt haben?
Vor langer Zeit habe ich im Internet die allererste Aufnahme einer Papst-Rede gefunden. Die Aufnahme rauschte und die Stimme klang wie ein Singsang. Das fand ich total spannend und wollte damit unbedingt arbeiten. Ein anderes Beispiel: Meine Eltern hatten früher einen Graupapagei, der alles aus meiner Kindheit mitbekommen hat – wie ich Geige übte, wie mein Bruder Trompete spielte, all unsere Unterhaltungen. Der Papagei war wie der Rekorder meiner Kindheit und Jugend und sang bestimmte Melodien, die ich dann irgendwann aufgenommen und später in einem Stück verwendet habe.
Welche Rolle spielt das Feedback von Interpret*innen in Ihrem kreativen Prozess?
Ich versuche, die Musiker*innen schon während der Entstehung eines Stücks einzubinden, und lade sie ein zu kreativen Improvisations-Sessions. Dafür entwickle ich eine erste Idee für ein Stück und stelle den Musiker*innen verschiedene Aufgaben. Zum Beispiel bitte ich sie, eine einfache Zeichnung zu spielen, oder ich bringe Aufnahmen mit, die sie auf ihrem jeweiligen Instrument nachahmen sollen. All das nehme ich auf und höre es mir ganz detailliert an. Aus diesen Sound-Schnipseln entsteht dann das eigentliche Stück.
Was möchten Sie beim Publikum bewirken?
Ich bin vorsichtig, genau zu bestimmen, was meine Musik bewirkt. Das überlasse ich lieber anderen. Meine Musik soll unterschiedliche Anknüpfungspunkte bieten, so mag eine Person ein Stück als lustig empfinden und eine andere Person als deprimierend. Ich möchte aber niemandem vorschreiben, was die „richtige“ Interpretation ist. Mir ist wichtig, dass sich niemand langweilt, egal, ob Schulklasse oder Fachpublikum. Zeitgenössische Musik hat Unterhaltungspotenzial.
Danke für das nette Gespräch.
Paul Hindemith …
… setzte sich für den musikalischen Nachwuchs ein und war bekannt für sein musikpädagogisches Wirken. In seinem Sinne fördert der Hindemith-Preis herausragende junge, zeitgenössische Komponist*innen. Seit 1990 wird der Preis im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) verliehen.
Foto: Astrid Ackermann