Gendermedizin – was bedeutet das eigentlich? Auch ich habe mich gefragt, ob es nicht ein bisschen übertrieben ist, medizinisch zwischen Frauen und Männern zu unterscheiden. Doch Vorsicht! Gendermedizin macht absolut Sinn. Im Gespräch mit Dr. Silja Schäfer erfuhr ich spannende Details über dieses neue Feld.
von Marion Laß
Frau Dr. Schäfer, warum ist Gendermedizin ein so wichtiges Thema?
Bis vor etwa zehn Jahren war dieser Begriff noch nicht so bekannt. Erst in den letzten Jahren rückte das Thema stärker in den Fokus der medizinischen Forschung – und das aus gutem Grund! Studien zeigen nämlich, dass der Stoffwechsel von Frauen anders funktioniert als der von Männern. Das hat deutliche Auswirkungen, zum Beispiel auf die Wirkung von Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln. Gendermedizin untersucht gezielt die biologischen und psychosozialen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, um Behandlungen individuell anzupassen.
Können Sie uns einige konkrete Beispiele für die Unterschiede nennen?
Frauen haben beispielsweise meist einen höheren Fettanteil als Männer. Da sich viele Medikamente über das Fettgewebe verteilen, wirken sie bei Frauen oft anders. Ein weiteres Beispiel: Frauen sind häufiger von Entzündungskrankheiten oder Autoimmunerkrankungen betroffen. Lipödeme und Lymphödeme treten ebenfalls deutlich häufiger bei Frauen auf als bei Männern.
Auch hormonelle Unterschiede spielen eine große Rolle. Während Männer hormonell stabiler sind, unterliegen Frauen durch Schwangerschaften, Stillzeiten und Menstruationszyklen starken hormonellen Schwankungen. Insgesamt produziert unser Körper weit mehr als 30 verschiedene Hormone, die übrigens alle miteinander kommunizieren und im Gleichgewicht bleiben wollen. Der weibliche Körper muss hier oft größere Herausforderungen bewältigen.
Gibt es auch Unterschiede bei der Wahrnehmung von Krankheiten?
Absolut. Nehmen wir zum Beispiel den Herzinfarkt. Männer und Frauen zeigen hier oft unterschiedliche Symptome. Während Männer die klassischen Schmerzen im linken Brustkorb und im linken Arm spüren, klagen Frauen häufiger über Übelkeit oder ein Druckgefühl im Oberbauch.
Interessant ist auch diese Statistik: Vor den Wechseljahren erkranken mehr Männer als Frauen an einem Herzinfarkt. Es wird vermutet, dass die regelmäßige Bluterneuerung durch die Menstruation Frauen bis zu diesem Zeitpunkt schützt. Das legt sogar die Überlegung nahe, ob regelmäßiges Blutspenden für Männer präventiv wirken könnte.
Auch bei psychischen Erkrankungen gibt es Unterschiede: Frauen leiden häufiger unter Depressionen, während Männer eher zu Suchterkrankungen neigen – und selbst hier zeigen sich oft geschlechtsspezifische Symptome.
Haben Sie ein Beispiel aus Ihrer Praxis, bei dem Gendermedizin eine Rolle spielte?
Ja, mehrere. Ein Fall ist mir noch gut in Erinnerung: Eine Patientin mit Bluthochdruck, die unter Gewichtszunahme litt, nahm ein Medikament mit dem Wirkstoff Metoprolol, einen Betablocker. Dieses Präparat führt bei Frauen oft zu Gewichtszunahme. Bei Männern nicht. In solchen Fällen ist es natürlich wichtig, individuell angepasste Alternativen zu finden.
An dieser Stelle möchte ich allgemein darauf hinweisen, dass man – egal, ob Mann oder Frau – regelmäßig überprüfen lassen sollte, ob Medikamente wie Blutdrucksenker oder Magenschutzmittel, die man mal bekommen hat, auch weiterhin benötigt werden. Häufig werden solche Präparate prophylaktisch verschrieben, zum Beispiel im Krankenhaus. Nach einer gewissen Zeit kann der Körper sich aber oft regenerieren und die Medikamente sind möglicherweise gar nicht mehr nötig.
Wie schätzen Sie die Zukunft der Gendermedizin ein?
Gendermedizin wird in den nächsten Jahren immer wichtiger werden. Unsere Körper sind sehr unterschiedlich, und diese Unterschiede müssen in der Medizin berücksichtigt werden. Es geht darum, individuelle Behandlungen für Männer und Frauen zu entwickeln – zum Wohle aller.
Vielen Dank, Frau Dr. Schäfer, für diesesaufschlussreiche Gespräch!

Dr. Silja Schäfer …
… ist vielen aus dem Fernsehen bekannt. Sie ist eine der Ernährungsdocs des NDR. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin ist mit diversen Zusatzqualifikationen ausgestattet.
Fotos: Adobe Stock (1) / Claudia Timmann (1)