Die schwarzen Viecher mit den melancholischen dunklen Augen vermögen Feinschmecker in Ekstase zu versetzen. Die japanischen Wagyu-Rinder stehen in einem Stall in Negenharrie (Schleswig-Holstein) bei Neumünster. Den Stall von Rüdiger Marquardt darf man sich wie ein Wellnesspalast für Rinder vorstellen. Kein Wunder: Gilt das Fleisch doch als das beste und gesündeste der Welt. In jedem Fall ist es das teuerste.
Das japanische Wagyu-Rind ist noch sehr selten in Deutschland anzutreffen. Dies könnte sich bald ändern. Die Rasse besteht aus drei Hauptblutlinien, deren Stammbaum jeweils eine Region in Japan zugeordnet wird. Besonders die Rinder aus der Region Kobe sind bekannt, ja legendär. Bis heute hält sich die schöne Sage, die Bauern würden ihre Kühe massieren und täglich mit Bier verwöhnen.
Schauen wir bei der Holstein-Wagyu-Zucht in Negenharrie vorbei. Bereits seit dem 16. Jahrhundert betreibt die Familie Marquardt hier Rinderzucht. Die Idee, Wagyu zu züchten, kam Rüdiger Marquardt bei einem Essen für Gäste. Was sollte er kochen? Alle Gäste waren Steakliebhaber und durch einen Bekannten, der mit einer Japanerin verheiratet war, lernte er japanisches Rindfleisch kennen und lieben. Warum also nicht die alte japanische Tradition mit neuen Holsteiner Ideen beleben und selbst Wagyu-Rinder züchten? Gedacht, geplant, getan.
Bei ihm werden die Tiere zwar nicht mir Bier verwöhnt, aber dafür gibt es Massagebürsten, die den Rindern offensichtlich angenehm sind. Neben gesundem Futter und artgerechter Haltung – die Tiere haben Platz und leben auf Stroh -, werden die Rinder zusätzlich mit Musik beschallt. Britische Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass sich bestimmte Musik positiv auf Rinder auswirkt. Mittlerweile hat sich in Deutschland ein Wagyu-Verband gegründet, dem rund 30 Züchter angehören.
Marmorierung des Wagyu-Fleisches aus Schleswig-Holstein
Die am meisten geschätzte Eigenschaft des Wagyu-Fleisches ist die Marmorierung – sie liegt in den Genen. Ein Netzwerk von Fett verläuft durch das Fleisch. Es sorgt dafür, dass das Fleisch beim Braten zart bleibt – und was noch wichtiger ist, viel Geschmack abgibt. Es ist ja ein großes Missverständnis, dass mageres Fleisch auch zarter ist. Das Gegenteil ist der Fall: während des Bratens schmelzen die Fette der Marmorierung und bilden eine Öl-artige Schicht um das Fleisch. Diese Schicht bindet die in Wasser löslichen Eiweiße, welche die meisten Duft- und Geschmacksstoffe besitzen. Die Marmorierung gibt dem Fleisch eine extra Portion Saftigkeit, weil sie die Feuchtigkeit, die während des Kochens verdunstet, ersetzt. Darüber hinaus hat das Fleisch durch seinen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren einen sehr niedrigen Schmelzpunkt – weniger als 7°C – wodurch das Fleisch beim Verzehr auf der Zunge schmilzt. Natürlich bestimmen auch artgerechte Haltung, Futter, Schlachtalter (meist mit 36 Monaten), stressfreie Schlachtung und anschließende Reifung über die Qualität mit.
Steak als Lifestyle-Produkt
Vor dem Kobe-Rind war Fleisch einmal was Normales. Etwas, das einfach nur genossen wurde. Doch mit Kobe und Wagyu-Rindern hat die Verehrung – und das Zelebrieren – eine neue Stufe erreicht. Auf der einen Seite türmen sich Berge von Billigfleisch, auf der anderen Seite geht Filet für mehrere hundert Euro das Kilo über den Tresen. Fleisch ist endgültig zum Lifestyle-Produkt geworden. Das merkt auch die Gastronomie und sucht nach immer neuen geschmacklichen Besonderheiten, nach Tieren, die mit Eicheln oder Bier gefüttert oder mit Rotwein getränkt werden, und nach Fleisch, das besonders lange mit Edelschimmel reift. Die Top-Gastronomie informiert ihre Gäste mittlerweile akribisch über die Herkunft ihrer Waren und stellt die Fleisch-Einkäufe stolz zur Schau. Das Luxus-Steakhaus von heute versteckt seine Reifekammern nicht mehr, sondern hat sie in den Speisesaal gerückt, verglast und illuminiert. Früher hätten es die Gäste als Zumutung empfunden, in der Nähe von rohem Fleisch zu sitzen. Heute schauen sie in die Kühlschränke auf Rippchen oder Rücken als schauten sie in das Schaufenster eines Edel-Juweliers.
Zen-Meister
Die Wagyus werden auch als Zen-Meister unter den Rindern gepriesen: Angeblich sorgt ihre Tiefenentspanntheit für den besonderen Geschmack. Und in der Tat ist es butterzart, nichts erinnert mehr an die bekannte Fleischtextur.
Schon beim ersten Bissen wird klar, dass man Kobe- und Wagyu-Rind nicht so essen kann wie anderes Rindfleisch – denn man braucht nicht zu kauen. Kaum hat man die Gabel in den Mund geschoben, verläuft sein buttriges Fett auf der Zunge, das Fleisch schmilzt am Gaumen. Man lutscht es förmlich. Nicht jeder findet Gefallen daran.
Während ein Kilo konventionelles Rinderfilet von anständiger Qualität zwischen 40 und 50 Euro kostet, das Bio-Rinderfilet 60 Euro, ist man beim Wagyu mit 500 bis 600 Euro für ein Kilogramm dabei. Das alte Rom labte sich an gegrillten Nachtigallen und Siebenschläfern. Haben wir es hier mit spätrömischer Dekadenz zu tun? Man kann es so oder so betrachten. Ein Kollege von mir beschrieb mal, wie sich sein Leib, nach dem Verzehr von Kobe-Rind in einen Tempel der Lust verwandelt hätte. Folgt man seinen Empfindungen, ist der Preis angemessen: Der Besuch eines Edelbordells ist nun mal teurer als der eines normalen Restaurants.
Überhaupt scheinen die (Männer)Fantasien keine Grenzen zu kennen. So präsentierte das Gourmetmagazin „Beef“ ein Rezept für Frittata vom Wagyu-Hoden mit Wachteleiern und lobte den fein nussigen Geschmack und die elastische Struktur. Ob wir nun mit Lust oder Abscheu auf den Wagyu-Hype schauen: Das teuerste Fleisch der Welt ist in jedem Fall Wahnsinn.