Zum 125. Mal jährt sich die Gründung eines Vogelschutzvereins, der den Grundstein für den größten Umweltverband Deutschlands legte. Ein Besuch bei der Landesgeschäftsstelle des Naturschutzbundes (NABU) in Neumünster.

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Wo anfangen? Diese Frage steht über allem bei dem Titelthema dieser Ausgabe, denn Naturschutz scheint als Wort auf den ersten Blick so einfach zu greifen – niemandem wird es schwerfallen, sich darunter etwas vorzustellen. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass es sich hier um ein überaus komplexes Thema handelt – das in all seiner Vielfalt aber jede*n Einzelne*n von uns ganz persönlich betrifft.

Mutig voran

125 Jahre ist es her, dass sich in Stuttgart ein Verein gründete, der den Schutz von Vögeln in den Fokus nahm. An sich keine Besonderheit, auch Ende des 19. Jahrhunderts war es vielen Menschen eine Herzensangelegenheit, sich um ihre Umwelt zu sorgen. Ein Novum war jedoch, dass diese Organisation von einer Frau mitbegründet und angeführt wurde: Lisa Hähnle bekleidete, zuerst „mangels anderer Freiwilliger“, 38 Jahre lang den Vorsitz des „Bundes für Vogelschutz“ und wird in den Chroniken des NABU als zupackende, leidenschaftliche Realistin beschrieben.

Wie ein Schmetterling durchlief der Naturschutzverband über die Jahrzehnte verschiedene Entwicklungsstadien, wurde geprägt durch das Zeitgeschehen verschiedener politischer Systeme und der beiden Weltkriege. Er fand trotz alledem oder gerade deswegen immer wieder enthusiastische Wegbereiter*innen, die die Vision der außergewöhnlichen Schwäbin weitertrugen und schließlich den uns heute bekannten Naturschutzbund aus der Taufe hoben.

Mittendrin und immer dabei

Eva Krautter und Thomas Rothmund sind neu im Team des NABU Schleswig-Holstein – für beide eine Herzenssache.

In Schleswig-Holstein schlug der NABU einige Jahre später Wurzeln, im vergangenen Jahr wurde das 75. Jubiläum des Landesverbandes gefeiert. Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz mittendrin, in einem Altbau in der gemütlichen Färberstraße in Neumünster. Hier treffen wir zwei dieser Menschen, die sich dem Naturschutz nicht nur privat, sondern auch beruflich verschrieben haben. 

Beide sind noch nicht lang im Team des NABU Schleswig-Holstein: Eva Krautter, ausgebildete Journalistin, begleitet bereits seit vielen Jahren gemeinnützige Organisationen als Pressereferentin. Thomas Rothmund studierte im Verwaltungsbereich und legte im Master den Schwerpunkt auf Ökologie, war unter anderem als Klimamanager bei der Stadt Neumünster tätig und hat kürzlich die Geschäftsführung des Landesverbandes übernommen.

Ohne die Basis geht nichts

In der Tagespresse gehen die Namen der großen Umweltverbände an niemandem vorbei. Allesamt haben sie es sich hart erarbeitet, Meinung und Expertise zu den großen Themen abgeben und an den politischen Verhandlungstischen sitzen zu dürfen. Die Antwort auf die Eingangsfrage fällt im Gespräch jedoch direkt ganz eindeutig aus. „Vor allem die Arbeit vor Ort ist essenziell. In den Schutzgebieten wird praktische Naturschutzarbeit geleistet – sei es allein schon das Pflegen von Wiesen oder das Zurückschneiden von Buschwerk, um Lebensräume zu erhalten“, berichtet Eva Krautter vom Einsatz der Aktiven vor Ort.

Vom Hindenburgdamm auf Sylt bis zur Insel Trischen im Wattenmeer, vom Wasservogelreservat Wallnau bis zum Büchener Sander, vom Storchenschutz bis zum Erhalt gefährdeter Pflanzenarten – im nördlichsten Bundesland betreut der NABU insgesamt 51 Schutzgebiete und bestreitet diese Aufgabe mit einigen wenigen Hauptamtlichen und einer großen Zahl an Ehrenamtlichen. Vor allem für die freiwillig Helfenden beginnt der Naturschutz dabei oft direkt vor ihrer eigenen Tür.

Jede Hilfe zählt, um die atemberaubende Natur um uns herum wie hier auf der Halbinsel Holnis zu schützen.

Wandel im Ehrenamt

Die großen Themen unserer Zeit müssen es noch nicht einmal sein, um darauf aufmerksam zu machen, dass etwas zu tun ist. Menschen beobachten ihre Umgebung, erkennen Missstände und werden aktiv. Auch so sind einige der sogenannten Ortsgruppen, von denen es in Schleswig-Holstein über 40 gibt, entstanden und haben sich dem NABU angeschlossen, um ihrer Arbeit stärkenden Rückenwind zu geben.

So sinnstiftend und erfüllend die ehrenamtliche Arbeit anklingt, so schwer haben es Vereine, Nachwuchs zu finden. Deswegen ist eine der größten Herausforderungen für Organisationen wie den NABU, für das Engagement im Naturschutz zu begeistern. „Wir erleben einen Rückgang an Interessierten, die sich ehrenamtlich engagieren können oder wollen“, erklärt Thomas Rothmund. „Es wird zukünftig eine große Herausforderung sein, das Ehrenamt auch weiterhin attraktiv zu machen.“

Die Palette an Aufgaben ist dabei vielfältig und umfasst auch einiges, das nicht direkt an Naturschutz denken lässt. Denn Engagement verlangt nicht nur die praktische Feldarbeit in den Schutzgebieten, sondern reicht viel weiter. Ob enthusiastische Pädagog*innen in der Kinder- und Jugendarbeit, verhandlungsstarke Jurist*innen mit Gesetzeskenntnis oder gut vernetzte Unternehmer*innen aus der Wirtschaft – Menschen können nicht nur mit ihrer Naturliebe, sondern auch mit Erfahrung und Wissen aus den unterschiedlichsten Berufen eine große Unterstützung im Kampf für die Umwelt sein.

Jede Hilfe zählt, um die atemberaubende Natur um uns herum wie hier auf der Halbinsel Holnis zu schützen. Einen großen Erfolg konnte die AG Storchenschutz verzeichnen: Rund 500 Brutpaare haben 2024 etwa 870 Jungstörche aufgezogen – eine beachtliche Steigerung zu den Vorjahren.

Rechtsbeistand der Natur

Der schwergewichtige Fundus an praktischem und theoretischem Fachwissen macht es dem NABU möglich, seine Stimme erheben zu können. Der Verband ist in viele umweltpolitische Prozesse involviert und gibt unter anderem wichtige Stellungnahmen zu Großprojekten ab. So begleitet der NABU den Ausbau der A20 kritisch aus Sicht des Naturschutzes, das Expert*innenteam der NABU-Landesstelle für Fledermausschutz und -forschung nimmt hier aktuell eine besondere Rolle ein. Am Kalkberg in Bad Segeberg angesiedelt, wissen die dort tätigen Referent*innen alles zu der stark gefährdeten Tiergruppe – nämlich auch, dass die Flugrouten einiger Arten über den geplanten Streckenausbau der A20 in Segeberg führen. „Unsere kritische Stimme ist wichtig, um sicherzustellen, dass Umweltbelange wie in diesem Fall der Schutz der Fledermäuse ausreichend berücksichtigt werden“, sagt Rothmund.

Auch die „großen“ umweltpolitischen Themen wie die Klimakrise stehen auf der Agenda der Naturschutzorganisationen. Aktuell beschäftigt etwa der Ausbau der Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein. Zwar sei Klimaschutz natürlich zu befürworten, doch sei die Frage, wie die Energiewende gelingen kann, ohne auf Kosten von Natur und Artenschutz zu gehen. „Das heißt, wenn jetzt ein Beschleunigungsgesetz nach dem nächsten kommt, dann ist es unsere Aufgabe – und die ist wirklich nicht einfach –, darauf zu achten, dass nicht falsch abgebogen wird“, beschreibt Thomas Rothmund den Spagat, den es zu machen gilt.

Früh übt sich: Mit Kinder- und Jugendaktionen ermöglicht der NABU schon den Jüngsten, ihre Umwelt hautnah zu erleben und spannendes Wissen zu erlangen.

Gemeinsam stark

Trotz allem blicken Eva Krautter und Thomas Rothmund frohen Mutes in die Zukunft. „Es ist inspirierend zu sehen, wie viele Menschen sich für die Natur einsetzen und etwas bewirken wollen“, so Krautter. Auch den Willen in der breiten Bevölkerung zum Schutz unserer Umwelt sehen sie keineswegs als verloren an. „Irgendwann hält dann doch die Erkenntnis Einzug, dass die Natur eigentlich das verbindende Element ist. Man kann ganz unterschiedlich auf die Welt gucken, aber dass wir gesunde Ernährung und sauberes Wasser brauchen, da sind wir uns am Ende alle einig“, ist sich Thomas Rothmund sicher.

von Natalie Zahnow

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