Hieran lässt sich nicht rütteln: Für Schleswig-Holsteiner*innen gibt es in der Zeitrechnung des 20. Jahrhunderts erstmal nur eine Peilmarke: 78/79. Was sich anhört wie die fordernde Bitte an die Kollegin, eine weitere Kasse im Supermarkt zu besetzen, meint den Zeitraum zum Jahreswechsel 1978 / 1979. Es war die winterliche Apokalypse, die sich tief in das Gedächtnis gemeißelt hat. Seitdem ist dies die chronologische Zuordnung eines jeden Ereignisses, mit der Festlegung dies- oder jenseits 1978/79. Die Schneekatastrophe – noch heute Maß aller zeitlichen Dinge in Schleswig-Holstein. Auch der Winter 1996 könnte als Peilmarke dienen.
Ein eisiges Ereignis war ebenfalls der Winter, als die Förde (fast) zugefroren war, fast bis an das Fahrwasser heran.
Kletterpartie der Temperaturen
Von solchen Sensationen, die das Zeug haben, als Wetterkapriolen auf ewig im Gedächtnis zu bleiben, waren wir im Februar 2021 meilenweit entfernt. Viele Binnenseen waren bei bis zu minus 20 Grad über mehrere Tage ein Ausnahmezustand. Doch der Fokus der eigentlichen kleinen Sensation lag eine Woche nach der klirrenden Kälte gar nicht mal auf dem Wasser, sondern in einem Temperatursprung über Land. Flink wie ein Wiesel kletterten die Temperaturen in Quickborn von minus15 Grad auf plus 16 Grad. Das machte binnen sieben Tagen 31 Grad Differenz! Spitzenreiter dieser Supervulnerabilität in Norddeutschland war Northeim in Niedersachsen: sage und schreibe 42 Grad Unterschied! Aus gefühlter sibirischer Kälte wurde binnen einer Woche ein bezaubernder Frühling. Ganz kurios der Temperaturverlauf in Kiel-Holtenau: Am 13. Februar gab es hier für den Monat einen neuen Kälterekord von minus 10,9 Grad. Nur eine Woche später einen neuen Wärmerekord ebendort mit 16,7 Grad.
Eine neue Zeitrechnung?
In etlichen Ecken Schleswig-Holsteins purzelten die Rekorde. Das Wetter war dem Sommer näher als dem Frühling. Die Bezeichnung Winter war schlagartig obsolet. Das Jahr mit dem Minus-Plus-Doppelrekord innerhalb einer Woche. Der Februar hat eine neue Benchmark als zeitliche Peilmarke. Vielleicht heißt es bald schon: „vor oder nach dem Doppelrekord“.
Meeno Schrader
Schon seit seinem 15. Lebensjahr ist das Wetter für Meeno Schrader weit mehr als nur Small Talk. Er hat es an den unterschiedlichsten Plätzen der Welt „getestet“ und lebte und arbeitete unter anderem in Australien, Korea, der Karibik und den USA. Seit 2002 ist er der „Wetterfrosch“ des Schleswig-Holstein-Magazins beim NDR. In der Lebensart verrät er jeden Monat einen Gedanken aus seinen Wetterwelten.