Bereits in den 1980er Jahren prägte der im Mai dieses Jahres im Alter von 90 Jahren verstorbene austro-amerikanische Sozialphilosoph Fritjof Bergmann den Begriff „New Work”. Nachdem für ihn offensichtlich geworden war, dass es sich beim Sozialismus nur um ein historisches Auslaufmodell handeln könne, konzentrierte sich seine Forschung auf einen alternativen Gegenentwurf zum Kapitalismus. Bergmanns damalige Thesen zielten in ihrem Wesenskern darauf ab, die herkömmliche Erwerbsarbeit zukünftig erheblich zu reduzieren. „Neue Arbeit” wurde von ihm mit den Werten Selbstständigkeit und Handlungsfreiheit des Einzelnen sowie dessen Teilhabe an der Gemeinschaft assoziiert. Die „Knechtschaft der Lohnarbeit” sollte schon zeitnah ein Ende finden und durch eine sinnstiftende Arbeit ersetzt werden. Seit dem Beginn der Krise im vergangenen Jahr erfährt dieser Ansatz – wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen – eine Renaissance.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungen weisen eine immer kürzere „Halbwertzeit” auf. Nicht selten besitzen die daraus resultierenden Technologien einen disruptiven Charakter – Altbewährtes wird ganz plötzlich abgelöst durch unerwartet Neues. Das dadurch entstehende Empfinden einer quasi unaufhaltsamen Beschleunigung reicht weit. Es verursacht mitunter das Gefühl einer Atemlosigkeit, das unsere Entscheidungen und Handlungen sowohl im Berufs- als auch Privatleben deutlich beeinflussen kann.
Unvorhersehbare Arbeitswelt
Die aktuelle Arbeitswelt wird zunehmend als BANI-Welt charakterisiert. Eine Wortschöpfung, die sich aus den Anfangsbuchstaben der Attribute b:rittle (brüchig), a:nxious (ängstlich), n:on-linear (nicht-linear) sowie i:ncomprehensible (unbegreiflich) zusammensetzt. Diese Veränderungen stellen ständig neue Anforderungen an die Gesellschaft und jede*n Einzelne*n.
Als entscheidender Motor ist an dieser Stelle die Digitalisierung zu nennen. Die umfassenden Einschränkungen der vergangenen anderthalb Jahre bewirkten diesbezüglich einen enormen Entwicklungsschub. Heruntergebrochen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, führt Digitalisierung zu einer immer ausgeprägteren Vernetzung, Automatisierung und „Auslagerung” von Arbeit. Dass es vor einer digitalisierten Welt auch noch eine analoge gab, vermögen sich „Digital Natives” – also die mit Internet, Computern und Smartphones Aufgewachsenen – kaum noch vorzustellen: Schon Schreibmaschinen oder Telefonzellen erscheinen ihnen als Relikte aus grauer Vorzeit, vom klassischen Buchsatz mit Bleilettern ganz zu schweigen. Ältere Jahrgänge hingegen haben diesen medialen Umbruch bewusst durchlebt und mussten lernen, mit ihm umzugehen.
Mobiles Arbeiten
Wesentlich gekennzeichnet ist New Work durch mobiles Arbeiten, das orts- und mitunter auch zeitunabhängig stattfindet. Nur auf den ersten Blick machen es Videokonferenzen oder eine cloudbasierte Zusammenarbeit aus. Bei genauerem Hinsehen werden nämlich tiefgreifende Prozesse von Unternehmen, zum Beispiel innerhalb der Personalentwicklung, berührt. Und letztlich kann die gesamte Organisationskultur mit ihren Strukturen und Werten betroffen sein und nicht selten einen Paradigmenwechsel erforderlich machen. So bedingt ein sich permanent wandelnder Markt eine kollektive Mentalität, die insbesondere auf umfassend transparente und kooperative Arbeitsformen ausgerichtet ist. Die Möglichkeit zur flexiblen Teamarbeit ist entscheidend für schnelle und zuverlässige Problemlösungen: Unterschiedliche Sichtweisen sowie flache Hierarchien begünstigen eine derartige Arbeitsgemeinschaft deutlich.
Weitere Kennzeichen
Eine Voraussetzung von New Work ist die fortlaufend optimierte IT-Umgebung innerhalb einer Organisation. Weitaus bedeutsamer ist jedoch die Fähigkeit zum vernetzten Denken und Handeln der Beteiligten. Die minimalistischen und sich stetig verändernden Strukturen erfordern eine hochflexible Zusammenarbeit der Teammitglieder. Dafür ist es notwendig, dass Werte und Ziele in einem Team durchgängig geteilt werden. Schon die vier Leitsätze des bekannten „Agilen Manifests” aus dem Jahr 2001 (agilemanifesto.org) zielten darauf ab:
I. Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
II. Funktionierende Ergebnisse sind wichtiger als umfassende Dokumentation.
III. Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen.
IV. Reagieren auf Veränderungen ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.
Gegenseitiges Vertrauen, eine entsprechende Anerkennung sowie Motivation der Mitglieder eines Teams untereinander sind ebenso essentiell für die Idee von New Work.
Utopie oder baldige Wirklichkeit?
New Work ist noch immer mehr eine Idee als eine Tatsache. Doch sämtliche Zeichen der Zeit deuten auf entsprechende Veränderungen der Arbeitswelt hin. Die Entwicklung ist zudem längst schon angestoßen: Bereits heute beeinflusst die Digitalisierung die Art unseres Konsums, unserer Informationsbeschaffung sowie Kommunikation immens. Zumindest unterschwellig werden durch diese immer auch ethische Fragestellungen berührt. Beispielsweise wirkt sich der Umstand, wie und wo wir etwas kaufen, direkt auf unsere eigene, aber auch auf die Lebenswirklichkeit Dritter aus. Dabei kann ein Spannungsfeld zwischen der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung sowie der übergeordneten individuellen Verantwortung für das gesellschaftliche Ganze entstehen. Daraus resultierende innere Konflikte sind dann allein durch moralisch begründete Entscheidungen auflösbar.
Lebenslanges Lernen
Schon längst kommt der Bereitschaft zu einem lebenslangen Lernen eine sehr große Bedeutung zu. Angesichts einer weiteren Virtualisierung und Technisierung, die ein hohes Maß an individuellen Befähigungen erfordern, stellt es sich als eine Pflichtübung dar. Eine geistige Aufgeschlossenheit ist Bedingung für die Ausbildung und Pflege der eigenen Selbstkompetenz – und damit für ein glückliches Leben: Zukunft soll und muss Freude bereiten, beruflich und auch privat.