Ein Gutteil meines Kleiderschrankinhalts zählt zur Kategorie „Museum“. Die meisten Teile, die ich nicht mehr anziehe, sind Jeans, die ältesten über 30 Jahre alt. Etliche finde ich heute sonderbar bis furchtbar, es gibt aber auch Evergreens unter meinen Jeans: In den 80ern war die Levi’s 501 mit Knopfleiste ein „Muss“ – über 100 Jahre, nachdem Levi Strauss sie erfunden hatte. Ich liebte sie so sehr, dass ich sie sogar zum Skifahren trug. Die Werbung war Kult. In einem Spot von 1985 zieht sich ein Kerl im Waschsalon aus und packt seine 501 mit einer Ladung Steine in die Waschtrommel (nicht nachmachen!).
Der wilde „Moonwashed“-Look wurde durch eine Tortur mit Bimssteinen und Bleichmittel erzielt. Sie erinnern sich, was viele ehemalige DDR-BürgerInnen, modisch etwas verspätet, zur Zeit der Wende anhatten?
In den 90ern trug ich mal Röhre, mal Möhre. Es folgte die Schlaghose, als Revival der 70er, und die passte toll zu den Plateau-Boots, mit denen ich auf Partys tanzte. Im neuen Jahrtausend rutschte der Bund runter bis zur Hüfte, was mit etwas zu viel Hüftspeck leider so aussah wie ein gequetschter Bienenstich. Ich stand auf kreative „Distroyed“-Effekte, meine Mutter schimpfte: „Wie kannst du für eine kaputte Hose so viel Geld ausgeben?!“ Schnitte und Styles kommen, gehen und kommen wieder. Einige mache ich nicht mehr mit: Als die Karottenform zurückkam und Jeans, die hoch bis zum Bauchnabel reichen, war ich entsetzt. Zu den Trends 2019 zählen Patchwork, Hochwasserhosen (Hilfe!), Batic-Muster (oh je!), und die Schlaghose ist wieder da, oh ja! Zwei Jeans reichen mir, eine enge und eine gemütliche. Wichtiger als die Marke ist mir Nachhaltigkeit. Denim ist ein Material, das schön altert – ähnlich wie Holz. Aber die Abnutzung erledige ich lieber selbst. So habe ich länger Freude an meinen Jeans, und die Umwelt freut es auch.
Auf dem Weg zur grüneren Jeans
Jede Jeans hinterlässt einen erheblichen ökologischen Fußabdruck. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, darunter das Material und dessen Endbearbeitung. Klassischer Jeansstoff ist ein Kettköpergewebe aus Baumwolle. Levi Strauss bestellte für seine patentierten Nietenhosen Ware aus dem französischen Nîmes: Aus „de Nîmes“ wurde im amerikanischen Slang „Denim“. Baumwolle ist eine sehr durstige Pflanze. Im konventionellen Anbau werden auch giftige Pestizide eingesetzt. Daher sind Bio-Baumwolle und andere Naturfasern die bessere Wahl. Zum Finishing fällt mir eine Anekdote ein: Als ich vor 15 Jahren in einer Moderedaktion jobbte, schlug ich als Thema „Die Leiden der Jeans“ vor: Ich wollte mit coolen Actionfotos und witzigen Texten aus Sicht der Jeans erzählen, wie eine schlichte indigoblaue Hose zum begehrten Designobjekt wird – was sie alles „durchmachen“ muss, bevor sie im Laden hängt: Waschungen, Bleichen, eine rabiate Behandlung mit Steinen … Die Story kam dann nicht zustande, weil kein Hersteller mitmachen wollte. Wie naiv ich war! Man wollte diese Prozesse wohl nicht zeigen, weil sie umweltschädlich oder sogar schädlich für Arbeiter waren. Zum Glück setzen immer mehr Marken auf eine möglichst grüne und faire Produktion – zum Beispiel diese drei: Vorhang frei!
Lease a Jeans
„Es macht keinen Sinn, dass du Jeans, die du nicht mehr trägst, in deinem Schrank liegen hast“, finden die Macher von MUD. Bert van Son, CEO der holländischen Marke, hatte rund 30 Jahre in der Modeindustrie in Asien und Europa zu tun. Missstände bei Arbeitsbedingungen und Umweltschutz motivierten ihn, der Welt zu zeigen, dass es auch anders geht –
gehen muss! 2012 startete er mit MUD eine „Circular Jeans Company“: Um Ressourcen zu sparen und Müll zu vermeiden, lässt die Firma Stoffe in einem ewigen Kreislauf zirkulieren. Alle Kunden werden aufgerufen, ihre Jeans wieder zurückzugeben, sobald sie zerschlissen ist oder nicht mehr gefällt. Oder: eine Jeans nur zu leasen, statt sie zu besitzen. Aktuell machen rund 3.500 Leaser mit. Und das funktioniert so: Max Mustermann zahlt einmalig 29 Euro Mitgliedsbeitrag, sucht sich eine Jeans aus und least sie für 7,50 Euro im Monat. Nach einem Jahr hat er drei Optionen: 1. Er will die liebgewonnene Hose weitertragen – okay, sie gehört nun offiziell ihm. 2. Er tauscht sie gegen eine neue ein, die er dann wie gehabt leiht. 3. Oder er gibt sie nur zurück und beendet den Vertrag. Was macht MUD nun mit der gebrauchten Büx von Max? Bei gutem Zustand wird sie aufgearbeitet für ein zweites Leben als Vintage-Jeans. Hat Max sie stark beansprucht, wird das Material recycelt als Basis für eine neue Jeans.
Es wird geschätzt, dass eine herkömmlich produzierte Jeans vom Baumwollanbau bis zur Ladentheke rund 7.000 Liter Wasser verbraucht! MUD gibt an, für ein neues Exemplar mit 1.554 Litern auszukommen, für eine Vintage-Jeans mit 777 Litern. Dabei spielt auch das Finishing eine Rolle. Eine gängige Jeans-„Foltermethode“ ist es, Stoffpartien mit Sandpapier abzuschmirgeln und danach mit Chlor oder Kaliumpermanganat zu bleichen. Eine andere bekannte Machart ist die Waschung mit Bimssteinen („stonewashed“), wobei auch reichlich Schlamm anfällt. MUD setzt stattdessen auf innovative Verfahren mit Maschinen der spanischen Firma Jeanologia: Durch eine Laserbehandlung wird das Gewebe partiell verbrannt. Und zur Aufhellung kommt aus Sauerstoff gewonnenes Ozon (O3) zum Einsatz. Die Technik spart jede Menge Wasser und Energie und kommt ohne Chemikalien aus.
„Böser“ Denim
2016 gründeten Barbara Trenti und Andreas Geier „The Bad Seeds Company“. Für ihre Jeanskollektion schwören sie auf eine der ältesten, vielseitigsten Kulturpflanzen: Hanf. Sitz der Firma ist Ahrensburg bei Hamburg, produziert wird in Italien.
Andreas, warum habt ihr eure Firma „The Bad Seeds Company“ getauft?
Das ist ironisch gemeint. Hanf hat ja leider ein schlechtes Image. Wir haben ihm auch den Spitznamen „Flora non grata“ verpasst. Hanf ist nicht nur als Drogenkraut verpönt – obgleich Nutzhanf gar nicht als Rauschmittel taugt, er stellt auch für etliche andere Rohstoffe eine unerwünschte Konkurrenz da: etwa im Bereich der Kunststoffe und Pharmazie.
Welche Vorzüge hat der Hanfanbau?
Hanf wächst rasant, kommt mit fast jedem Boden und jedem Klima zurecht und braucht dank seiner meterlangen Pfahlwurzeln etwa 75% weniger Wasser als Baumwolle, in Europa also keine künstliche Bewässerung. Außerdem: weder Düngemittel, noch Pestizide!
Was macht ihn zum idealen Rohstoff für Jeans?
Hanfdenim fühlt sich weich an, ist aber fast unverwüstlich, eine Jeans hält bei normaler Benutzung mindestens zehn Jahre! Der Stoff wärmt und besitzt eine gute Feuchtigkeitsregulierung. Und Hanffasern wirken schmutzabweisend und antibakteriell – so musst du die Jeans seltener waschen.
Wo wächst der Hanf, der in eurer Kleidung steckt?
Aktuell wächst er auf kleinbäuerlichen Plantagen in Russland und Rumänien und wird dort auch zu Stoff verarbeitet. In Deutschland ist die Lage so, dass Landwirte seit 1996 Nutzhanf bis zu einem Tetrahydrocannabinol-Gehalt von 0,2% unter sehr strengen Auflagen und Kontrollen anbauen dürfen, das schränkt schon die Pflanzenauswahl sehr ein. In Italien sind bis 0,6% THC-Gehalt erlaubt. Wir sind gerade mit mehreren Geschäftspartnern dabei, im Raum Norditalien eine eigene textile, ökologische Wertschöpfungskette aufzubauen: vom Anbau über die Faserverarbeitung und Weberei, über das Färben und Finishing des Stoffes bis hin zur Näherei. Alles aus einer Hand und aus einem Land, das ist in dieser Form einzigartig. Derzeit haben wir Testfelder von 50 Hektar im Trentino mit verschiedenen Hanfsorten, geplant sind 600 Hektar.
Das sind ja tolle Neuigkeiten!
Ja, eine aufregende Sache. In zwei bis drei Jahren können wir hoffentlich die ersten so produzierten Kleidungsstücke in den Handel bringen.
Gibt es auch News in der Kollektion? Bisher war die Jeans-Auswahl ja recht übersichtlich …
Wir haben ab diesem Frühjahr einige neue Modelle. Zum Beispiel „Skinny“-Jeans aus 70% Hanf, 29% Bio-Baumwolle und 1% Elasthan. Zu weiteren Neuheiten aus Hanfdenim zählen eine Schlaghose, ein Rock und sommerlich kurze Latzhosen.
Wie läuft der Verkauf, kommen Hanfjeans gut an?
Die Nachfrage steigt, es läuft gut und immer besser.
Kompostierbare Jeans
1993 gelang Markus und Daniel Freitag etwas Erstaunliches: Mit ihren Taschen-Unikaten aus alten LKW-Planen, Anschnallgurten und Fahrradschläuchen machten sie Upcycling-Produkte zu Liebhaberstücken, die sie später von der Schweiz aus in die ganze Welt verkauften. Seit kurzem gibt es von Freitag auch zeitlos schlichte Anziehsachen. Ursprünglich suchten die Brüder nur neue robuste Arbeitskleidung für ihre Mitarbeiter in Produktion und Vertrieb – die Motivation dafür war aber kein bestimmter Style, sondern der passende Stoff: Das Material sollte umweltfreundlich gewonnen und verarbeitet werden und das möglichst nur in Europa, um Transportkilometer zu sparen. Nach aufwändigen Recherchen und Testphasen mit einem Dutzend Textilherstellern entstand schließlich „F-Fabric“, neuer heißer Stoff aus Altbekanntem: Bastfasern. In den Five-Pocket-Jeans für Sie und Ihn stecken 81% Leinen und 19% Hanf (Der Gemeine Lein oder Flachs ist eine ähnlich genügsame Pflanze wie Hanf): gewachsen auf Feldern in Frankreich, Holland und Begien, zu Garnen gesponnen in Slowenien oder in der italienischen Lombardei und dort auch zu Kreuzköper-Denim gewebt, fertig genäht im polnischen Schlesien. In anderen Kollektionsteilen wie Jerseyshirts ist auch buchenholzbasiertes weiches Modal aus Österreich eingearbeitet.
Der Clou: Alle F-Fabric-Klamotten sind vollständig biologisch abbaubar. Bei den Jeans bilden nur die abschraubbaren Metallknöpfe eine Ausnahme, auf Nieten wurde verzichtet. Am Ende eines langen, bewegten Lebens dürfen sie auf dem Komposthaufen friedlich verrotten und zurück in den Stoffkreislauf eingehen.
Wussten Sie,
dass Levi Strauss (1829-1902), Urvater der Denim-Nietenhose, aus dem oberfränkischen Buttenheim stammt? Sein Geburtshaus ist heute ein Museum – mit integriertem Levi’s-Modeladen. www.levi-strauss-museum.de