Unmengen an Stoff stapeln sich an den Zimmerwänden, fein und säuberlich aufgerollt. Daneben finden sich zig Reißverschlüsse und unzählbar viele Knöpfe vor. Ein Knattern erfüllt den Raum. Es kommt von den Nähmaschinen aus der Mitte des Raumes, an denen hochkonzentriert fleißige Arbeiter und Arbeiterinnen an Tischen sitzen und ihre Fäden in den Stoff bringen. Wirkt die Arbeitsatmosphäre doch im ersten Moment eher monoton, kann eine junge Frau unter ihnen bestätigen: „Der Job ist abwechslungsreich.“ Olga Lohrenz ist Auszubildende in der Kostümschneiderei an der Oper Kiel. Sie suchte etwas Ausgefallenes und hier hat sie es definitiv gefunden.
Auf Frust folgt Lust
2017 begann Olga am Kieler Haus ihre Ausbildung zur Maßschneiderin. Dabei sah sie sich selbst zuvor nicht als talentierte Hobbynäherin an. „Eigentlich habe ich alles, was ich versucht habe zu nähen, wieder weggeschmissen, weil ich es einfach nicht konnte“, erzählt sie. Dennoch entschied sie sich für genau dieses Handwerk. Warum? Weil auf Frust oft wieder die Lust auf die Handarbeit folgte. Für ihr Hobby „Live Action Role Play“ – ein Rollenspiel, in dem Personen ihre Wunschcharaktere möglichst in passenden Kostümen und an geeigneten Schauplätzen darstellen – nähte Olga sich ihre Gewänder selbst. Warum also nicht auch beruflich ausgefallene Kleidung herstellen?
Die wilde Olga
Gesagt getan. „Als meine Oma wusste, dass ich Maßschneiderin werde, sollte ich ihre Hosen kürzen. Sie wurden sehr schief“, sagt Olga. Ihrem Vorhaben tat das jedoch keinen Abbruch. Ihr Plan stand fest wie auch die genaue Ausrichtung. Langweilig sollte es nicht sein, sondern ausgefallen und unkonventionell. Wenn es dann hin und wieder noch ein wenig glitzert, wäre der Job perfekt für Olga. „Ich wollte etwas Wildes machen“, erzählt sie. Seit knapp drei Jahren wildert Olga nun an der Kieler Oper – natürlich unter Anweisung und auch in geordneten (Stoff-) Bahnen. Und eines hat sich bestätigt: Abwechslungsreich und ausgefallen geht es hier auf jeden Fall zu.
Das Gesamtkunstwerk im Blick
KostümbildnerInnen designen die Gewänder für die jeweiligen Rollen einer Oper. Olga und ihre KollegInnen fügen dann die einzelnen Stoffteile zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Ob einfaches T-Shirt oder pompöses Königskostüm – jeder Tag bringt ein neues Projekt mit sich. Ihre Fachrichtung ist Herrenoberbekleidung. Die Art des Stoffes beeinflusst den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe. „Irgendwie ist alles machbar. Vor Damenschneidern ziehe ich aber meinen Hut, wenn die ‚mal eben‘ ein Kleid mit zehn Tüllschichten kürzen müssen“, sagt Olga.
Spitzfindiger Job
Der Auszubildenden gefällt das Theater. „Ich mag einfach die Atmosphäre. Man duzt sich, tut sich Gefallen zwischen den verschiedenen Werkstätten und hat immer Abwechslung bei den Dingen, die zu fertigen sind.“ Dabei ist für Olga der Grund, warum Kulturbegeisterte das Haus besuchen, eher nebensächlich. Ihr Interesse gilt weniger dem Zauber der Oper. Dennoch führt sich Olga stets vor Augen, für wen und was sie arbeitet. Vor allem muss sie die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigen. Der Darsteller hat einen krummen Rücken, der nächste mag keine engen Hosen, der dritte braucht besondere Ärmel – all diese Spitzfindigkeiten muss Olga im Blick haben. Wie spitzfindig ihr Job im wahrsten Sinne des Wortes sein kann, erfuhr die angehende Kostümschneiderin während ihrer Anfangszeit – und zwar bei der Arbeit mit Nadeln. Anfangs zählte Olga noch mit, wie oft sie sich mit der Nadel in den Finger stach. „Aber nachdem ich mich in der ersten halben Stunde dreimal gestochen habe, habe ich direkt wieder aufgehört eine Strichliste zu führen“, erzählt die Auszubildende.
Der Notfall-Näher
Neben dem reinen Nähen in der Werkstatt sind KostümschneiderInnen auch bei Aufführungen dabei, um im Notfall zu helfen, wo es geht. Ist was gerissen, fehlt ein Knopf? Olgas KollegInnen sind während des Auftritts hinter der Bühne, um bei Bedarf Hand bzw. Nadel anzulegen und auf den richtigen Sitz des Kostüms am Darsteller zu achten. „Hin und wieder darf ich auch mal reinschnuppern“, sagt Olga.
Noch hat sie ein Stück der Ausbildung zu meistern. Danach möchte sie gerne noch ein Jahr bleiben, um möglicherweise ihren Meister zu machen. Wo es sie letztlich hinzieht, weiß Olga noch nicht. Aber eines ist ihr bereits klar: „Ich möchte weiter am Theater arbeiten.“