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Stephan Opitz

Ebenso steil wie kaum erklärbar ist die doppelte Karriere des Adjektivs „genau“. Was bislang und immer zur unterstützenden Beschreibung von Zuverlässigkeit und Präzision diente und auch nach wie vor dient (ein genaues Prüfverfahren; die Uhr läuft auf die Sekunde genau), ist inzwischen gleichermaßen in die Wimmelwortwelten vorgedrungen und findet dort mit anderen Partikeln oder Interjektionen sein Auskommen. Kein Gespräch mehr unter Leuten bis ca. 40, in dem nicht Dinge erklingen wie „und dann habe ich, genau, dem Werkstattleiter noch gesagt, dass er bitte nach dem, genau, Kühlwasserstand sieht“ (wer so spricht, sagt nicht „sehen möge“ – das unter uns Ü 60 Motzern. „Was wollte ich noch sagen – genau, vielleicht noch diese Zusatzinformation“ – solch Sprechverhalten wechselt mit „Ja, guten Abend, genau, ich will Ihnen jetzt noch die Wirkungsweise unserer Medienkampagne erklären; also, genau, der Ansatz power marketing wird dabei im Focus stehen“.

Sprache packt’s: Selbst die Verbindung nun wirklich auseinanderdriftender Dinge – einmal die Schilderung von Präzision und mit den gleichen Buchstaben die schiere labernde, von jedem Hauch von Präzision Lichtjahre entfernte Erweiterung der Redelänge.

Weit gebracht hat es auch die Interjektion „halt“ (genau: Das dazwischengeworfene – Wort nämlich, lat. interiectio, Zwischenwurf). Wenn es im Schwäbischen lautet „Do muosch halt end Scheiße neilange“, um damit auszudrücken, dass jemand eben die Dinge anpacken muss, wenn die Sache etwas werden soll, dann kann dieser Wendung und ihrer schriftsprachlichen Übertragung entnommen werden, dass die Interjektion „eben“ lautet, und nicht „halt“. Stimmt aber nicht mehr – bis weit nach Angeln und Nordfriesland hat sich das ursprünglich nur in den süddeutschen Dialekten beheimatete „halt“ vorgearbeitet und fristet inzwischen vorzugsweise wiederum bei jüngeren Sprechern ein überhaupt nicht mehr dialektgebundenes reiches Leben: „Als die Eva neulich, halt, mit dem Adam loszog, da hatte der schon locker seine fünf Flens gehabt.“ „Also, ja, genau, ich hab gerade versucht, halt, Euch zu erklären, was Kant mit seinem, genau, Kategorischen Imperativ halt gemeint hat.“

Doch doch – so kann sich das aktuell anhören und wir haben darüber nichts zu motzen, auch als Ü 60er nicht. Aber die Sachen beschreiben – das darf man. Auch ich. Beschreiben ist ja kein Motzen. Sonst wäre „halt“ ja „genau“.

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