Auf einem Hof in der ländlichen Idylle Schleswig-Holsteins aufgewachsen, bewirtschaftet die studierte Landwirtin Annemarie Paulsen gemeinsam mit ihrem Mann einen Öko-Landbetrieb im Herzen der Uckermark. Aber nicht nur das: Als sogenannte Agrar-Influencerin teilt sie ihren Alltag zwischen Milchkühen, Hühnern und Treckern mit über 160.000 Menschen auf Instagram und begeistert mit ihrem Wissen – und viel Humor.
von Natalie Zahnow
Liebe Annemarie, ich bin großer Fan deines Instagram-Kanals und liebe deine Storys! Wie bist du dazu gekommen, Argar-Influencerin zu werden?
Meine Social-Media-Geschichte begann eigentlich ganz traurig, da ich an einem Tiefpunkt in meinem Leben damit angefangen habe. Unser drittes Kind war gerade geboren, und wir lebten circa ein Jahr in der Uckermark. Ich hatte keine Freundin und keine Familie hier – außer natürlich die Schwiegereltern und meinen Mann Martin. Ich war einsam und fühlte mich immer mehr verloren. Und dann dachte ich, ich kommuniziere nach außen – über Social Media. Dass diese Entscheidung mein Leben so verändern wird, damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich fühle mich nicht mehr einsam und bin jeden Tag dankbar für meine Community auf Instagram. Anfangs habe ich mich stark auf die landwirtschaftliche Produktion konzentriert, mittlerweile möchte ich vor allem die Frauen in der Landwirtschaft repräsentieren.
Ihr betreibt Landwirtschaft, habt eine Menge Tiere und erwartet bald euer fünftes Kind. Wie schaffst du es, so eine großartige Medienarbeit – quasi nebenbei – zu leisten?
Was man nicht sieht, sind all die Menschen, die hinter mir stehen. An erster Stelle mein Mann, der mich in allem so unterstützt. Wir haben eine klare Kommunikation und klare Prioritäten, das erleichtert unseren Alltag ungemein. Für Martin steht es außer Frage, dass Social Media meine Arbeit ist und ich dafür natürlich auch Zeit brauche. Wir haben das große Privileg, beide selbstständig zu sein. Und ich habe dazu noch eine maximale Flexibilität. Das passt fantastisch zusammen. Und dann meine Schwiegereltern, die beide noch recht jung und vor allem fit sind und noch Lust haben, auf dem Betrieb zu arbeiten und uns zu unterstützen. Das ermöglicht uns ein tolles Familienleben. Ich bin unglaublich dankbar für diese Unterstützung, und nur deswegen kann ich meine Arbeit bei Social Media auch so „befreit“ machen. Aber ich lüge dich nicht an: Ich bin 80 Prozent des Tages extreme Mutti. (lacht) Und das ist auch okay so. Unsere Kids haben für mich Priorität. Als „Ausgleich“ gehe ich morgens und abends in den Stall und zeige mein Leben auf Instagram – Balance eben.

Du amüsierst besonders mit deinen Parodien, etwa als Bauer Helmut. Welches ist das wahrste Vorurteil über das Landleben?
Es gibt so viele Vorurteile, und ich finde, an einigen ist auch ein bisschen was dran. Die Mentalität auf dem Land ist eine andere als in der Stadt. Zum Beispiel, dass wir hier im Dorf nicht anonym sind und uns hier jeder kennt. Oder dass vieles praktisch orientiert ist und der Ton auch mal rauer sein kann. Aber was ich ja so erfrischend finde, ist, dass wir uns dieser Vorurteile auch sehr bewusst sind. Wir können gut über uns selbst lachen. Aber es hat halt einen komischen Beigeschmack, wenn wir aufs Korn genommen werden von Menschen, die nicht vom Land oder Hof sind. So wie es doof ist, wenn wir vom Land uns über die „Städter“ lustig machen. Ich liebe das Vorurteil, dass sich auf dem Dorf jeder kennt – das stimmt einfach. Und nicht nur auf dem Dorf. Die Landwirtschaftblase ist manchmal so klein, da reichen zwei bis drei Sätze und man kennt schon denselben Bauern.
Deine Medienarbeit beschränkt sich nicht nur auf Instagram. Du warst unter anderem schon in diversen TV-Formaten wie dem ZDF-Fernsehgarten zu sehen und hast im letzten Jahr zudem ein Buch herausgebracht, das es sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat. Was erwartet deine Leser*innen in „Alles büddn wild“?
Ein sehr ehrlicher, ungeschönter Einblick ins Dorf- und Bauernhofleben. Nicht unnötig romantisiert, sondern eher eine Auseinandersetzung mit den guten wie den schlechten Seiten des Lebens auf dem Land. Ebenso immer wieder ein kritischer Blick auf Traditionen und Sitten, die auf dem Dorf teilweise noch üblich sind, aber vielleicht umgestaltungswürdig wären. Vor allem ist es aber ein Buch, das einen Einblick für alle geben soll, wie dat so is up’n Dorf – und natürlich darf dabei eine Prise Humor nicht fehlen!

Landwirtschaft wirkt von außen recht männlich dominiert. Wie siehst du
deine Rolle und die der vielen anderen Landwirtinnen?
Sehe ich genauso. Es sind meist Männer, die die Betriebe erben, die in Vorständen und Verbänden hohe Ämter besetzen und das Bild der Landwirtschaft prägen. Aber ich fühle einen großen Wandel. Immer mehr Frauen zeigen – besonders in Social Media –, wie kompetent und clever wir Bäuerinnen sind. Es werden Netzwerke aufgebaut, Unternehmerinnen-Tage organisiert, und Frauen unterstützen sich immer mehr gegenseitig und bestärken sich. Was ist das schön! Aber es lässt sich nicht leugnen, dass Frauen in der Landwirtschaft mit ganz anderen Dingen vor großen Herausforderungen stehen: Familie und Betrieb. Wir sind nun mal die, die biologisch gesehen die Kinder bekommen. Mit dem ersten Kind verändert sich unsere ganze Welt und somit auch unsere Rolle auf dem Betrieb. Das ist nicht leicht. Früher stellte sich, glaube ich, nie die Frage, wer die Kinderbetreuung macht. Ich habe das Gefühl, dass sich das mittlerweile geändert hat. Ich möchte hier aber auch eine Lanze brechen für alle jungen Landwirtsväter: Ein Wandel ist absolut zu merken. Die Care-Arbeit wird aufgeteilt und Hof- und Hausarbeit wird auf mehreren Schultern aufgeteilt. Rollen müssen nicht gebrochen werden, aber vielleicht ist es auch okay, wenn man mehrere Rollen hat.
Du bist in Brandenburg zu Hause, kommst aber vom platten Land in Schleswig-Holstein. Merkst du Unterschiede?
Ich kann nicht leugnen, dass ich anfänglich einen Kulturschock hatte. Und mit jedem „Moin“, das ich nach 12 Uhr mittags sagte, habe ich mich natürlich gleich geoutet, nicht von hier zu sein. Ich sage immer gerne: Die Uckermärker sind die härtesten Nüsse zum Knacken – schmecken dann aber auch fantastisch. Sprich Geduld und Beharrlichkeit zahlen sich aus. Ich bin im hohen Norden groß geworden, kenne den Schnack und die Leute und fühle mich da natürlich schnell wohl. Ich mag das Direkte und Offene. Auch mal rauer zu sein, steht mir. Ich muss aber auch sagen, dass die Vorgärten in Schleswig-Holstein piekfein sind und auch beäugt wird, dass die piekfein bleiben. Das habe ich hier in Brandenburg anders erlebt. Es fühlt sich hier etwas freier an. Dementsprechend sieht es hier auch mal wild aus, und genau das habe ich so schätzen gelernt.

Lesetipp
Grüne Wiesen, süße Kälbchen, der Käse, wie er immer schon war, und ein naturnahes Leben – das ist die Landidylle aus TV-Serien. 5-Tonner mit 300 PS, viele Stunden harte Arbeit, jede Menge Lärm und Matsch und der ewige Kampf mit der EU-Bürokratie – das ist die Realität für über 250.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Annemarie Paulsen sieht und kennt beide Seiten, zieht aus beidem den Witz und nimmt ihre Follower mit in die Milchkammer, auf die Weide, in den Alltag einer Bäuerin. Neben bester Unterhaltung und jeder Menge Humor fragt sie aber auch ganz ernsthaft: Wo wollen wir eigentlich hin mit unseren Traditionen, ist da genug Raum für uns junge Landwirte?
Annemarie Paulsen: Alles büddn wild
EMF Verlag, 256 Seiten, 16 Euro
Fotos: Annemarie Paulsen privat