Vermutlich greifen die neugeborenen Säuglinge in einigen Jahren nicht mehr an die mütterliche Brust, sondern gleich zur Getränkedose. Vermutlich lernen die Kleinen in naher Zukunft, dass man sich durch kleine, fette Steh- und Gehimbisse im 10-Minuten-Takt möglichst den Tag hindurch mümmeln und mampfen soll.
Vermutlich weiß auch dann niemand, warum die ganze Bevölkerung Mitteleuropas eigentlich ständig futtert und nuckelt. Vermutlich halten mich jetzt alle für einen verbiesterten Neider von zweifellos möglichen Gewinnen, welche aus dem Betrieb von Imbissbuden gezogen werden können. Das ist aber nicht so. Manchmal passt es und so sei hier ebenso stellvertretend wie vorbeugend der Genuss einer stärkenden Bodenständigkeit nach durchbummeltem Abend gepriesen: Ne Bockwurscht is imma n juta Abschluss, stellte lapidar unser Berliner Freund vor ein paar Wochen morgens um 1 Uhr an einer einschlägigen Bude fest; ich griff noch ergänzend zur Spreewälder Salzgurke. Und würde als kulinarische Soforthilfe, wenn keine Mahlzeit in freundlicher Gesellschaft in Sicht ist, jederzeit einen Döner empfehlen.
Altehrwürdiges Imponiergehabe
Doch egal durch welche Innenstadt der eilige Geschäftsmensch oder schlendernde Tourist gerade geht: Wer das ganze industriell zusammengeleimte Zeug in sich hineinspülen und drücken soll, welches an den Ständen und in den Läden entlang unserer Fußgängerzonen feilgehalten wird, bleibt schleierhaft. Und dass die Kids ihre erwachende Mann- bzw. Fraubarkeit mit einer stetigen Getränkedose in der Hand unter Beweis stellen, lässt nur den melancholischen Schluss auf massive Beeinflussung altehrwürdigen Imponiergehabes in der Pubertät durch die Getränkeindustrie zu.
Ständiges Futtern
In den Bahnhöfen der Republik gibt es keine Wartesäle mehr, in welchen man sich auch nur eine Minute aufhalten möchte – wohl aber breite Fressgassen, in denen wiederum nur eines passieren soll: Ständiges Futtern. In den Hörsälen der Universitäten, in den Schulen dito – keine Stunde ohne Nuckelflasche oder Schokoriegel oder Käsebrotauspacken. Der kleine Genuss für zwischendurch, wie es die einschlägigen Werbetexter formulieren, durchzieht und durchströmt inzwischen ca. 14 Stunden des Tages. Bei diesen schätzungsweise 30 einsam zu sich genommenen Kleinstmahlzeiten pro Tag bleiben natürlich Sozialfunktionen des Essens auf der Strecke – den Verlust von Wärme, Geborgenheit und freundlicher Tischrunde sollte man jedoch mehr als beklagen: Man sollte ihn vermeiden. Hilft übrigens auch gegen einen zu fetten Wanst.
Das Vermeiden geschieht durch das Erlernen von Schmecken, Riechen, Sehen – wer das Glück hat, in seinem Elternhaus um liebevoll und kundig (auf die Kombination kommt es an!!) gefüllte Schüsseln herumsitzen zu können, dem entlockt eine aufgebackene Pizzaschnitte mit einer Käseauflage, deren Weg durch den Tag schon reichlich mühevoll war, noch nicht einmal ein mitleidiges Lächeln. Daher an dieser Stelle ein beherztes Plädoyer: Für eine Schule der kulinarischen Lust – zur Vermeidung irreparabler Sozialschäden!