Der Kieler Filmemacher und Schriftsteller Jess Hansen (61) war mit seinem Kamerateam auf der Hallig Hooge, als der Orkan „Xaver“ 2013 über den Norden rollte. Über seine Erlebnisse während der Dreharbeiten zum Film „Sturm über Hooge“ hat er ein emotionales Buch geschrieben, das im Verlag in Farbe und Bunt erschienen ist. Redakteurin Marion Laß hat mit ihm gesprochen.
Herr Hansen, was haben Sie gefühlt, als Sie auf Hooge angekommen sind – Vorfreude, Respekt oder eher ein mulmiges Gefühl?
Als wir auf der letzten Versorgungsfähre nach Hooge standen, fühlte ich überwiegend eine angespannte Vorfreude – auf das vor uns liegende Abenteuer. In dieses Gefühl mischten sich Respekt vor den anrollenden Naturgewalten und Sorge um mein Team.
Wie haben Sie sich technisch auf den Höhepunkt der Sturmflut vorbereitet?
Die Technik – Kamera und Ton – überlasse ich grundsätzlich den Kolleg*innen. Die sind Chefin oder Chef in ihren Aufgabengebieten und wissen, was zu tun ist. Kameramann Jens Hinrichsen und Tonassistentin Sonja Kieschnick haben auf Hooge – mitten im Orkan – einen tollen Job gemacht.
Hatten Sie einen Plan B, falls die Lage brenzlig wird und kippt?
Einen Plan „B“ hatte ich nicht, da ich auch keinen Plan „A“ hatte. Anders als bei anderen Filmen war mir klar, dass in diesem Fall das Ereignis – also der vom Atlantik heranstürmende Orkan Xaver – die „Regie“ führen würde. Mein Team und ich dokumentierten, wie die Halligmenschen sich auf das drohende Landunter vorbereiteten und wie sie den Sturm abwarteten. Genau wie sie konnten wir nur hoffen, dass alles gut geht. Das lag nicht in unserer Hand.
Erinnern Sie sich an die erste Minute, in der Sie dachten: Jetzt wird es ernst?
Ja, daran erinnere ich mich sehr gut. Gegen Mittag des zweiten Tages – nach der sprichwörtlichen „Ruhe vor dem Sturm“ – schwoll über der Nordsee, aus West, ein gewaltiges Brausen an. Es klang, als würde ein riesiger Zug auf die Hallig zurasen. Wenige Minuten später traf der Orkan Hooge mit voller Wucht. Von diesem Zeitpunkt an stürmte es gefühlt 1000 Tage lang. Wir erlebten binnen 24 Stunden drei
gewaltige Sturmfluten.
Was hat Sie akustisch/visuell am meisten überwältigt – Wind, Wasser, Dunkelheit?
Der Sturm entfachte ein infernalisches Getöse. Wir konnten uns nicht unterhalten und tauschten uns mit Zeichensprache aus. In der Nacht stürmte das Wasser den Schutzwall der Hallig hinauf. Wegen der absoluten Finsternis, die mich an einen Kohlenkeller erinnerte, konnte ich nicht sehen, wie hoch das Wasser stand. Das war beängstigend.
Welche*r Halligbewohner*in auf
Hooge hat Sie in diesen Stunden
besonders beeindruckt?
Alle Halligbewohner*innen haben mich beeindruckt. Obwohl ihnen das Wasser bis zum Hals stand, haben alle die Ruhe bewahrt. Es war fast unheimlich, mit welcher Gelassenheit sie dem Orkan ins Auge schauten. „Die Natur ist der Chef“, sagen die Menschen im Meer und nehmen es, wie es kommt. Besonders beeindruckt hat mich unser Herbergsvater Heiner Brogmus: Während vor seiner Tür der Orkan tobte, klebte Heiner neue Fußleisten in die Gästezimmer.
Gab es eine Szene, bei der Sie sich bewusst gegen die Kamera entschieden haben?
Nein, die Szene gab es Gott sei Dank nicht. Allerdings habe ich sie in meinem Kopf „durchgespielt“. Was tun, wenn das Wasser in die Häuser läuft und das Hab und Gut der Bewohner*innen zerstört wird? Meiner Profession folgen und mit der Kamera draufhalten oder die Technik beiseitelegen und den Menschen helfen? Unbeantwortete Fragen. So weit kam es nicht. Das Wasser blieb zehn Zentimeter (!) unterhalb der Warftkante stehen. Wir hatten sehr viel Glück. Dafür bin ich dankbar, denn ein Katastrophenfilmer bin ich nicht.
Welche Einstellung war die riskanteste – und würden Sie sie heute wieder so drehen?
Bei Sturm innerhalb der Warft zu drehen, war sehr riskant. Die Warften gleichen Rührschüsseln, in denen bei Sturm alles herumfliegt. Von einem Teil getroffen zu werden, kann böse enden. Aber auch dabei hatten wir Glück.
Was hat die Hallig Hooge Ihnen über die Verwundbarkeit der Westküste beigebracht?
Es muss weiter aufgewarftet werden. Die Schutzwälle um die Häuser müssen erhöht werden. Wegen des Klimawandels steigt der Meeresspiegel stetig an. Bereits der nächste große Sturm könnte für viele Hallig- und Inselbewohner*innen verheerend ausgehen. Deichbau und die Erhöhung der Warften auf den Halligen sind eine teure Angelegenheit, die sich aber für alle auszahlt, denn die Inseln und Halligen sind Wellenbrecher. Gehen sie unter, treffen die Stürme mit voller Wucht aufs Festland – mit schlimmen Folgen.
Wenn Sie „Xaver“ in drei Wörtern beschreiben müssten – welche wären das?
Faszinierend. Unheimlich. Lehrreich: Im Meer ist das Mensch-Natur-Verhältnis im Gleichgewicht. Wer im Sturm steht, spürt seine wahre Größe, vielmehr seine Winzigkeit und Schwäche im Angesicht der kraftstrotzenden Naturgewalten.
Danke für das interessante Gespräch.

Lesung in Kiel
Am 15. Januar 2026 ist Jess Hansen mit einer Multimedia-Lesung im Studio Filmtheater Kiel, Wilhelminenstraße, zu Gast. Er zeigt Bilder und Filmausschnitte und liest aus seinem neuen Buch „Sturm über Hooge“. Karten gibt es für 12 Euro zzgl. Vorverkaufsgebühr auf der Seite www.jesshansen.de oder über www.eventim.de. Eintritt ist ab 19.30 Uhr.







