Normalerweise verlassen in der Seebar kalte Getränke und leckere Speisen den Tresen, Gäste machen es sich auf den Plätzen mit Kieler Panorama-Ausblick bequem und die Temperaturen liegen jenseits der 15-Grad-Marke. Als wir Luise Amtsberg jedoch Anfang Februar im Seebad Düsternbrook trafen, trockneten sich nur ein paar hart gesottene Ganzjahres-Badegäste das kalte Wasser von ihren Körpern.
Ungläubig wirkten die Blicke der Bundespolitikerin, für die ein Winterbad offensichtlich nicht in Frage kommt. Uns erzählte die Kieler Bundestagsabgeordnete und neue Beauftragte für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe von ihrer neuen Verantwortung im Auswärtigen Amt, Sexismus im Berufsalltag auf ihrem Karriereweg nach oben, und warum sie sich bei manchen Schnittchenempfängen nicht mehr blicken lässt.
KIELerleben: Frau Amtsberg, für das Thema Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe sind Sie jetzt verantwortlich und seit ziemlich genau zwei Monaten im Amt. Wie waren die ersten Wochen?
Es gab viel zu tun. Bisher lag der Fokus meiner Arbeit klar bei der Flüchtlingspolitik mit einer Schnittstelle zur Außenpolitik, bei der Positionierung Deutschlands im Bereich der Flüchtlingsaufnahme und dem Umgang mit Geflüchteten im Land. Das ist jetzt anders. Bewaffnete Konflikte auf der ganzen Welt nehmen zu, während auf der anderen Seite kaum Konflikte beendet werden. Das heißt auch, dass unsere Verantwortung wächst. Menschenrechte sind ein wichtiger Teil von bilateralen Beziehungen. Mit meinem Amt bin ich Teil von Deutschlands außenpolitischen Beziehungen, die ich dafür nutze, vor Ort auf die Einhaltung der Menschenrechte zu drängen.
Zurück nach Kiel: An welchen Orten in der Landeshauptstadt trifft man Sie nach Feierabend?
Das kann prinzipiell an jedem Ort in Kiel passieren. Ich schlendere gern mit Freund:innen durch die Stadt. Aber auch politische Treffen verbinde ich gern mit Spaziergängen. Besonders gern mag ich den Tiessenkai mit seinen Cafés. Gerade im Sommer kann man dort super an der Kaikante sitzen und aufs Wasser gucken. Wenn ich meine „hood“ rund um den Schrevenpark und der Sternstraße mit der „Sternstunde“, in der ich lange Zeit gearbeitet habe, verlasse, dann fahr ich gern raus nach Laboe, Heidkate oder meinen Lieblingsort in Kiel – dem Falckensteiner Strand. Das ist seit 2004 „mein Strand“, an dem ich den Job eben Job sein lassen kann. Mit der Festung Friedrichsort und der Deichperle.
„Das Vertrauen der Menschen in Kiel bekomme ich durch meine politische Arbeit und nicht dadurch, wo ich meinen Erstwohnsitz angemeldet habe.“
Luise Amtsberg
Sie leben in Kiel und in Berlin. Was vermissen Sie an der Landeshauptstadt, wenn Sie nicht hier sein können?
Ich vermisse natürlich das Meer. Kiel schafft es außerdem immer wieder, mich zu erden – auch wenn ich mal an meine Belastungsgrenzen stoße. Hier ist immer der Ort, an dem ich mich sortiere und einen Plan mache. Kiel ist mein Zuhause. Der Ort, an dem ich alt werden möchte.
Und dennoch wurden Sie während des vergangenen Bundestagswahlkampfes dafür kritisiert.
Richtig. Es gab Kritik aus anderen Parteien an meiner Direktkandidatur weil mein Erstwohnsitz in Berlin ist. Das liegt vor Allem daran, dass mein Mann in Berlin arbeitet und wir dort unseren Familienwohnsitz haben. Man hat mir im Wahlkampf unterstellt, keine Bindung nach Kiel zu haben. Vor dem Hintergrund, dass ich seit 17 Jahren in Kiel lebe und seit 8 Jahren für Kiel im Bundestag sitze, ist das schon ein starker Vorwurf. Ich fand die Debatte wahnsinnig anmaßend. Da haben Menschen mein Leben und meine Glaubwürdigkeit öffentlich in Frage gestellt, die eigentlich keine Ahnung haben. Sorry wenn ich das so deutlich sage. Aber die Kritik kam hauptsächlich von Menschen ohne Bundestagsmandat und ohne Kleinkinder zu Haus. Folglich von Menschen, die gar nicht einschätzen können, was es bedeutet als Mutter eines kleinen Kindes zwei Arbeits- und Wohnorte zu haben. Da muss man eben Kompromisse machen. Die Kielerinnen und Kieler können sich meiner Verbundenheit zu unserer Stadt aber sicher sein. Wenn ich politisch für unsere Stadt gebraucht werde, bin ich da, so einfach ist das.
„Ich lasse mich nicht auf jedem Schnittchenempfang oder Netzwerktreffen blicken, weil ich ein Kind habe und Zeit für meine Familie haben möchte. Ich möchte ein aktiver Teil im Leben meines Sohnes sein.“
Luise Amtsberg
Sie waren 2009 die jüngste Frau im Landtag, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Kiel noch vor Ihrem 30. Geburtstag – Ihr Karriereweg ging bislang stetig bergauf. Gab es Situationen, in denen Sie mit Gegenwind zu kämpfen hatten?
Auf jeden Fall. Bedrohungen gehören leider zu meinem politischen Alltag. Aber ich habe auch immer wieder mit Altersdiskriminierung durch Kolleg:innen zu tun gehabt und wurde nicht selten mit unsachlichen Sprüchen konfrontiert. Darunter gab es ganz klar auch viele sexistische Kommentare. Meist dann wenn mein politisches Gegenüber keine anderen Argumente mehr hatte. Ich habe das irgendwann für mich umgedreht und versucht, daraus Kraft zu ziehen. Ich habe mir klar gemacht, dass es in Wirklichkeit eine Schwäche meines Gegenübers ist. Das macht es zwar nicht besser aber es hat mich abgehärtet. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass manch eine Erfahrung ausgeblieben wäre. Gerade junge Frauen in der Politik schreckt ein solches Verhalten ab.
Und was steht momentan ganz oben auf der Agenda?
Das Thema Afghanistan. Ich will, dass wir unser Versprechen einlösen, die Menschen aus dem Land zu holen, die sich für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt und unsere Arbeit im Land unterstützt haben. Das gehört genauso zur außenpolitischen Verantwortung dazu. Wir haben im Koalitionsvertrag ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan vereinbart. Dass dieses nun zügig kommt, dafür arbeite ich gerade jeden Tag. Nicht immer nur im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium.
Was wünschen Sie sich konkret für die Region?
Ich wünsche mir, dass wir uns in Schleswig-Holstein mehr für unsere Kreativwirtschaft und die Kulturschaffenden einsetzen. Dafür braucht es vor allen Dingen Räume und keine verkopften Beschlüsse, die Kulturschaffenden Steine in den Weg legen und ihre Kreativität begrenzen. Der Kulturbereich braucht insgesamt einen höheren Stellenwert. Ich finde es nicht gut wenn beispielsweise Hip Hop Kultur immer nur dann gefördert wird, wenn es gleichzeitig einen zweiten Zweck erfüllt. Das stellt meines Erachtens den Stellenwert des eigentlichen Schaffens nach hinten. Natürlich sind die Projekte, die zum Teil dahinter stehen, wahnsinnig wichtig, jedoch sollten nicht zur Bedingung gemacht werden.
Das ganze Interview gibt es in der aktuellen Ausgabe der KIELerleben zu lesen.
*Das Gespräch mit Luise Amtsberg hat zu einem Zeitpunkt stattgefunden, an dem die politische Lage zwischen Russland und der Ukraine noch nicht zu eskalieren drohte. In einem Statement via Instagram äußerte sich Luise Amtsberg im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen folgendermaßen:
„Mit jeder Stunde verschlechtert sich die humanitäre Situation. Zivilisten, Frauen und Kindern gehen allmählich die Lebensmittel und Medikamente aus. Hunderte scheinen zumindest getötet worden zu sein. (…) Diese Krise ist nicht nur eine humanitäre Krise. Es ist auch eine massive Menschenrechtskrise. Zunächst steht das Recht auf Leben von Tausenden von Zivilisten, Frauen und Kindern auf dem Spiel. Es muss alles getan werden, um diesen Konflikt schnell und friedlich zu lösen. Zweitens wurde und wird das Recht auf Selbstbestimmung, das beispielsweise in Artikel 1 des ICCPR verankert ist, von den russischen Streitkräften jeden Tag verletzt, das Recht des ukrainischen Volkes, sein eigenes politisches Schicksal frei zu bestimmen. (…)
Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Menschenrechte gelten auch im Krieg! Der Menschenrechtsrat hat das Mandat und die Pflicht, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen unverzüglich anzugehen. (..) Die Einrichtung einer Untersuchungskommission zur Untersuchung aller Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts ist ein entscheidender Schritt. Wir rufen alle Mitgliedstaaten des Menschenrechtsrats auf, die Resolution zur Einrichtung einer solchen Kommission zu unterstützen. Dies ist ein Schritt in Richtung dringend benötigter Rechenschaftspflicht. Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht ungestraft bleiben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Reihen schließen. Bauen wir unsere Einheit auf. Es ist das stärkste Kapital, das wir in dieser Krise haben. Ich fordere Präsident Putin auf: Stoppen Sie sofort diesen Angriffskrieg gegen einen souveränen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen!“