Mit Mona Harry ins Blaue

„Ich mag dieses Herbe, das Schroffe, das Raue. Ich mag diese Richtung – der Weg führt ins Blaue.“

Mona Harry ist vielen bekannt als Slam-Poetin, aber das ist nur eine ihrer Leidenschaften. Eine andere ist zum Beispiel das Radfahren. Und diese Begeisterung fürs Radeln und wieder einmal ihre Liebe zum Norden hat sie in ihrem neuen Buch festgehalten: „Ins Blaue – 20 Radtouren im Land zwischen den Meeren“. Doch dieses Buch ist kein normaler Radreiseführer. Freuen Sie sich auf lustige Anekdoten und Monas gewiefte Wortwahl. Dieses Buch macht Spaß beim Lesen, auch wenn man gar keine Lust hat aufs Radfahren. Einige Tourenbeschreibungen ergänzt Mona mit erfrischend ehrlichen Reisetagebüchern. Wir möchten Ihnen hier ihre Reise von Kiel entlang des Nord-Ostsee-Kanals bis nach Dithmarschen vorstellen:

Reisetagebuch Nord-Ostsee-Kanal

Es ist Sommer und das merkt man auch. In Kiel liegt Hitze auf den Dächern. Nur ab und zu wird sie von einem leichten Windstoß hinunter geschubst. Meine Fahrradtaschen sind gepackt. Der Plan steht. Ich werde den Nord-Ostsee-Kanal hinunter und dann die Nordseeküste hinauffahren. Wie weit, das ist noch offen. Vielleicht bis St. Peter-Ording oder Husum. Vielleicht sogar bis Sylt. Als ich früh morgens in Kiel auf mein Rad steige, bin ich motiviert. An der Kieler Förde entlang fahre ich zum Nord-OstseeKanal. Der Morgen ist früh und der Tag noch voller Möglichkeiten. Der Fahrtwind: kühl und angenehm. In Rendsburg angekommen setze ich mich auf eine Bank am Ufer des Kanals. Vor mir liegen Rasenfläche und ein gepflegter Weg. Hinter mir stehen teure Häuser mit Blick auf den Kanal. Ein alter Hund geht mit einer noch älteren Frau spazieren. Sie sind so langsam, dass die Zeit kurz den Raum verlässt, um etwas zu erledigen. Hier gibt es nichts zu verpassen. Über dem Kanal spannt sich die Rendsburger Hochbrücke. Ich glaube, sie schläft noch.

Von Rendsburg aus fahre ich weiter auf südlicher Seite den Nord-Ostsee-Kanal entlang. Es ist sehr schön und wahnsinnig eintönig. Da ist der Kanal. Da ist die grüne Böschung. Da ist ein Schiff. Da ist der Weg. Immer gleich. Es geht nie bergauf oder bergab. Hier muss man stetig vor sich hin treten, um voranzukommen. Gleichförmig. Öde. Aber schön.

Auch hier sind nur wenige Menschen am Kanal unterwegs. Vereinzelte Angler stehen am Ufer. Selten Spaziergänger*innen. Manchmal Rentnerpärchen auf Fahrrädern. Im Partnerlook versteht sich. Rentnerpärchen in gleichfarbigen Fahrradtrikots. Alles daran ist mir ein Rätsel. Warum Fahrradtrikots, die aussehen, als hätte man eine Tour-de-France-Etappe vor sich? Warum Partnerlook? Geht es darum, sich an überfüllten Orten in der Menge wiederzufinden? Aber warum dann hier? Ich frage mich, ob man als Ehepaar in einem bestimmten Alter gleichfarbige Fahrradtrikots vom Staat gestellt bekommt: „Liebe Heidrun, lieber Dieter, alles Gute zu eurem 67sten Lebensjahr. Zum Eintritt in eure wohlverdiente Rente hier wie besprochen eure gleichfarbigen Fahrradtrikots.“

Kurz vor Brunsbüttel entlang einer Landstraße habe ich einen Platten. Das macht nichts. Am Straßenrand stehen Kirschbäume. Sie spenden Schatten und saure Früchte beim Reifen flicken. In Brunsbüttel endet der Nord-Ostsee-Kanal und gibt den Blick auf die Elbmündung frei. Die Sonne steht hoch am Himmel, das Wasser ist blau und ein leichter Wind kommt mir vom Meer entgegen.

Reisetagebuch Dithmarschen

Ich folge der Küste Richtung Norden. Der Weg führt bald nur noch hinter dem Deich entlang. Der Blick endet an grünen Deichwänden. Die Felder im Landesinneren sind groß und eintönig. Ein gleichmäßiger Gegenwind hat sich eingestellt. Hitze steht auf dem asphaltierten Weg. Ich kämpfe mich viel zu langsam und mit viel zu großem Kraftaufwand voran. Ich zerfließe in der Hitze und sehne mich an den Nord OstseeKanal zurück. Die Küste entlangfahren heißt die meiste Zeit hinterm Deich fahren. Daran hatte ich nicht gedacht.

Der Tag endet auf einem schäbigen Campingplatz bei Friedrichskoog. Der Ort ist abweisend und schlecht besucht. Auf einem staubigen Stück Rasen kann ich mein Zelt aufstellen. Ich bin zu erschöpft, um abends noch einmal auf den Deich zu steigen. Vielleicht wäre es schön gewesen. Vielleicht hätte ich das Meer gesehen. Der nächste Tag beginnt früh. Ich kann es nicht erwarten, diesen Campingplatz zu verlassen, und morgens ist die Hitze noch nicht so groß. Ich fahre ein Stück entlang einer Landstraße. Leider einige Kilometer in die falsche Richtung. Ich frühstücke auf einem blühenden Deich neben Reetdachhäusern. Der Blick reicht weit über blühende Marschen. Um mich herum surren Insekten und Schwalben.

Zwei Stunden später. Ich sitze auf einer Bank in Büsum. Seit dem Frühstück ging es bergab. Leider nicht im geografischen, sondern im körperlichen Sinne. Die pralle Sonne setzt mir zu.
Meine Beine sind schwer und lustlos. In meinem Kopf hat jemand zu hämmern begonnen. Mein müder Blick hat es sich in der Fußgängerzone bequem gemacht … Ob Mona Harry ihren Blick wieder aus der Fußgängerzone hinausführen kann und die Tour von jetzt an wie nach Plan verläuft, erfahren Sie in ihrem neuem Buch „Ins Blaue – 20 Radtouren im Land zwischen den Meeren“.

MONA HARRY: INS BLAUE – 20 RADTOUREN IM LAND ZWISCHEN DEN MEEREN, KJM BUCHVERLAG, 269 S., 22 EURO

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