
Lehm – vor einigen Jahrzehnten galt dieser Baustoff bei vielen Handwerker*innen und Bauwilligen noch als altmodisch und unprofessionell. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Im artefact Glücksburg werden inzwischen anerkannte Fortbildungen angeboten.
„Wöchentlich erhalte ich Anrufe von Menschen mit Sanierungs- oder Neubauplänen, die händeringend nach qualifizierten Firmen suchen, die etwa bei der Innendämmung Wandheizungssysteme mit Lehmbau kombinieren können“, weiß Werner Kiwitt vom artefact-Zentrum für nachhaltige Entwicklung. „Nach dem norddeutschlandweit ersten Kurs zur Fachkraft Lehmbau im Herbst 2022 hat das Interesse noch weiter zugenommen. Umso schöner, dass unser dreiwöchiger Kurs im Sommer 2023 als berufliche Weiterbildung anerkannt wurde“, freut sich Kiwitt.
Fortbildung für Baugewerke
In Kooperation mit der Handwerkskammer Flensburg und dem Dachverband Lehm bot artefact vom 30. Mai bis zum 16. Juni die Fortbildung für Bau-Gewerke an, die sich bundesweit steigender Nachfrage erfreut. Aufgrund des gesunden Innenraumklimas, doch zunehmend auch wegen der hervorragenden Energiebilanz, ist innovatives Bauen mit Lehmputz und Steinen längst mehr als ein Trend. Hinzu kommt, dass in Zeiten von Lieferengpässen und Kostensteigerungen bei Komponenten aus Fernost die regionale Verfügbarkeit als weiterer Vorteil entdeckt wird: Überall, wo schon seit Jahrhunderten Städte aus Backsteinen und ungebranntem Lehm errichtet werden, ist der Baustoff in großen Mengen verfügbar, wie oft alte Straßennamen verraten. Während andere Baustoffe nach Jahrzehnten oft Bauschutt und Entsorgungskosten hinterlassen, lässt sich Lehm problemlos recyceln und weiter verwenden. „Das war schon anstrengend!“ waren sich Hanna Schneider, Dachdeckerin aus Lüdersburg, und Maurermeister Ingo Schönk aus Schleswig einig: Fünf Stunden Praxisprüfung sowie das Bewertungsgespräch mit den drei Prüfern der Handwerkskammer Flensburg hatten sie gerade hinter sich, dazu den Rückbau ihrer Wandgefache mit Mauerwerk, Unter- und Oberputzen auf verschiedenen Unterkonstruktionen. Trotzdem war von Bauschutt nichts zu sehen, denn sortenreiner Lehm kann immer wieder weiterverwendet werden.
Lehm-Boom
Drei Wochen lang hatten sich 15 Handwerksgesellinnen, Meisterinnen und Architektinnen in Theorie und Praxis mit historischen, vor allem aber modernen Verarbeitungstechniken des Baustoffs Lehm auseinandergesetzt, der derzeit einen regelrechten Boom erlebt. Gab es vor wenigen Jahren nur wenige überregionale Anbieterinnen zertifizierter Lehmprodukte, betreten aufgrund wachsender Nachfrage vermehrt regionale Anbieter*innen den Markt. Volker Klass von der Firma FlensLehm absolvierte nun selber den Weiterbildungskurs, der zum zweiten Mal von artefact durchgeführt wurde, und konnte dabei gleich die Qualität seines eigenen Lehmvorkommens testen lassen. Über das erworbene Know how hinaus liefert der erfolgreiche Abschluss auch die Möglichkeit, im eigenen Kammerbezirk die Eintragung in die Handwerksrolle zu beantragen.

Teilnehmende aus Norwegen und der Schweiz
Dabei kamen die sieben Frauen und acht Männer nur zur Hälfte aus dem nördlichsten Bundesland: Architektin Laura Fröhlich kam eigens aus dem norwegischen Bergen und Malermeister Niels Pianzola aus dem Schweizer Bern nach Glücksburg, denn die thematische Tiefe und Vielfalt des Kurses hatte sich herumgesprochen. So wurden allein drei unterschiedliche Lehmwandheizungs-Systeme verbaut, die optimal mit Wärmepumpen kombiniert werden können – ein Thema, das sowohl im Neubau als auch in der Sanierung bis hin zum Denkmalschutz hochaktuell ist. Dort sieht Maurermeister Schönk, der für die Liegenschaften des Kirchenkreises Schleswig-Flensburg zuständig
ist, etliche Umsetzungsmöglichkeiten für sich. Für die größte Begeisterung sorgte jedoch zum Ende des zweiten Kurses ein Nischenprodukt des Lehmbaus: Nach der frohen Botschaft, dass alle 15 Teilnehmer*innen die Prüfung bestanden hatten, wurde die Einweihung des selbstgebauten Lehmbackofens mit Flammkuchen besonders intensiv gefeiert.
Weiterer Kurs 2024
Für den Zeitraum 29. April bis 18. Mai 2024 ist die nächste berufliche Qualifizierung zur Fachkraft Lehmbau in Glücksburg geplant.
Renaissance des Lehmbaus
Lange galt der alte Baustoff als unmodern, im Handwerk wurde das spezifische Knowhow nicht mehr nachgefragt. Die Renaissance des Lehmbaus begann in Deutschland Ende der 1980er Jahre. Wenig später wurde der Dachverband Lehm gegründet – im schleswig holsteinischen Molfsee und auf der damaligen Baustelle des Zentrums für nachhaltige Entwicklung, artefact, dessen Tagungs- und Gästehaus in Glücksburg aus lokalem Lehm und anderen regionalen Baustoffen errichtet und 1995 eingeweiht wurde.
Während in Süddeutschland inzwischen alljährlich Handwerker-Schulungen durchgeführt werden, war der Intensivkurs in Glücksburg für bereits in Bauplanung und Bauhandwerk Vorerfahrene der zweite zur Fachkraft Lehmbau in Norddeutschland. In Kooperation mit der Handwerkskammer Flensburg und dem Dachverband Lehm konnten im September 2022 erstmals 17 Teilnehmerinnen erfolgreich die Prüfung zur Fachkraft Lehmbau ablegen, die die Eintragung in die Handwerksrolle ermöglicht; im Juni nun weitere 15 Teilnehmerinnen.
Weitere Informationen finden Interessierte unter www.artefact.de.