Das Watt liegt vor ihm, hier und da spiegelt sich der helle Sonnenschein auf den Pfützen. Jesper Voss atmet tief die leicht salzige Nordseeluft ein. Seine Augen sind auf den Horizont gerichtet, der sich mehr erahnen als sehen lässt. Jesper ist an seinem Arbeitsplatz. Sein Büro ist das Watt vor der dänischen Insel Fanø.

Im Watt ist Jesper Voss in seinem Element.

35 Jahre lang wohnte der gebürtige Däne in Luxemburg, machte dort einen anstrengenden Job in Anzug, Schlips und Kragen an einem mächtigen Schreibtisch. Überstunden, Eile, Stress – so sah sein Alltag aus. Das hinterließ Spuren und sein Arzt legte ihm nahe, etwas zu ändern. „In einer Familienkonferenz haben wir abgestimmt, wo wir hinziehen wollen“, berichtet Jesper. „Meine Jungs stimmten für Fanø.“ Gesagt, getan. Jetzt verdient Jesper seinen Lebensunterhalt mit Menschen, Robben, Bier und Austern. Und ist gesünder als je zuvor.
„Ich suchte nach Ruhe und Hygge, der berühmten dänischen Gemütlichkeit – beides habe ich auf Fanø gefunden“, schmunzelt er. „Ich liebe einfach das Meer, seine offene Weite, die gute Luft, die Ruhe und den Sturm. Das Wattenmeer ist sehr dynamisch, kein Tag ist wie der andere.“

So niedlich können Kegelrobben sein. Aber trotzdem sind sie Raubtiere wie Wolf und Bär.

Der Robben-Flüsterer von Fanø
Heute geht es auf Safari: Vor Fanø ist das Wattenmeer ein wahres Paradies für Robben. Rund 3.000 Tiere leben hier. Und weil sie nicht gejagt werden dürfen, stört sie menschlicher Besuch auch nicht. Bei Ebbe machen wir uns mit Jesper auf den Weg: 1,7 Kilometer geht es in die Nordsee, ab und zu stampfen wir mit Gummistiefeln durch Priele. Dann stehen wir vor einer sechs Meter tiefen Meeresrinne, ca. 100 Meter breit. Tatsächlich, auf der Sandbank hinter der Rinne liegen die Nordseebewohner mit ihren kugelrunden Knopfaugen. Genüsslich räkeln sie sich auf dem Sand, einige robben ein paar Meter und lassen sich ins Wasser gleiten. Sofort verwandeln sich die plumpen Wesen in elegante Schwimmer. Fünf Robben kommen auf uns zu, blinzeln immer wieder neugierig aus dem Wasser. Eine Kegelrobbe ist besonders interessiert, sie kommt bis auf wenige Meter zu uns heran und zeigt sich ausführlich von allen Seiten.
Gefüttert werden die Robben hier nicht, sie nähern sich den Menschen aus ganz freien Stücken. Allerdings bietet die tiefe Rinne einen natürlichen Schutz, Strandbesucher werden dort aufgehalten, den Abstand zwischen Mensch und Robbe bestimmt immer das Tier. Im späten Frühling besuchen die Robben jedes Jahr die Sandbänke des Wattenmeeres, um hier zehn bis 15 Kilogramm Fisch täglich zu verspeisen und dann im Juni und Juli ihre Jungen zu gebären.

Austern ohne Schicki-Micki
Neben Weite, Ruhe und guter Luft liebt Jesper besonders am Meer, dass es so viel zu Essen bietet. Mittlerweile ist der Däne auch als Oyster King bekannt. Auf Austern-Safari nimmt er seine Gäste zwei Mal die Woche mit ins Watt. Verstehen sollte ihn übrigens jeder, der Däne spricht sieben Sprachen. Alle Leute bekommen dann einen Eimer und jeder sammelt sich so viele Austern, wie er nur tragen kann. „An bestimmten Stellen ist das Watt voll von den Schalentieren“, erklärt Jesper. „Es liegen buchstäblich Millionen dort“. Dann baut Jesper in den Dünen seine kleine Küche auf und bereitet die Austern mit den Besuchern zu. Es gibt gegrillte Austern, Austern-Cocktails, Austern mit Pesto, Austern mit Käse und so weiter. Das Essen wird mit Weißwein heruntergespült, die Füße stecken im Sand. Der Däne liebt seinen Job.

Braumeister Bryan Brei mit einigen seiner Bierspezialitäten.

Holunder, Heide oder Whiskey – Fanøer Bier gibt sich vielfältig
Der Däne scheint ein besonderes Talent zu haben, sich seine privaten Leidenschaften zum Beruf zu machen. Denn wenn er nicht gerade im Watt steht, ist er im Fanø Bryghus, der einzigen Bierbrauerei auf der Insel. Der amerikanische Braumeister Bryan Brei gibt gerade Bier in alte Whiskeyfässer. „Hier sind wir sehr kreativ, was unser Bier angeht“, erzählt Jesper. „Geschmäcker von leicht bis stark, nach Honig, Holunder, Whiskey oder Schokolade – alles ist möglich.“ Auch für das noma, das Kopenhagener Restaurant, das kürzlich zum weltbesten gekürt wurde, hat das Fanøer Bryghus schon ein Bier komponiert.
Abends macht Jesper noch mit Gästen ein Bier-Tasting. Etwa fünf verschieden Sorten gibt es, dazu alles Wissenswerte über das Fanøer Bier, Geschichten vom Meer und manchmal auch über das Leben überhaupt. Und am nächsten Tag geht es für ihn wieder ins Watt.

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