Vor ihnen liegt die Panzerwüste. Ihr Blick schweift über die Ödnis. Hier wächst kaum etwas. „Und das ist auch gut so. Es war ein harter Kampf diesen Zustand wieder herzustellen“, sagt Detlef Kolligs, während seine Kollegin Antje Walter den Saateimer vorbereitet. Im Naturschutzgebiet Binnendüne Nordoe südlich von Itzehoe werden jetzt die Weichen für einen Sommer voller Schmetterlinge gestellt. Auch zu Hause können Gartenfreunde einiges tun, um Falter anzulocken.

Biologe Dr. Detlef Kolligs sät Arnika, Schwarzwurzel und Teufelsabbiss auf nackte Erde. „Nur so keimen die Samen. Gegen Moose und Weißdorn haben sie keine Chance.“ Währenddessen läuft Antje Walter das mit Samen bestreute Gebiet mit ihrem Tablet ab. Die Landschaftsarchitektin dokumentiert alle Projektmaßnahmen anhand der GPS-Daten. Ab Juni werden die für viele Insekten wichtigen Nahrungspflanzen blühen.

Grün ist Gift

Wo sich vor einigen Jahren noch das Militär erprobte, kämpfen Naturschützer heute gegen den Überfluss an Nährstoffen im Boden. Noch vor 100 Jahren war Schleswig-Holsteins Geest von Feuchtwiesen, Magerrasen und Heiden geprägt. „Mit der Einführung des Düngers wurden diese nährstoffarmen Landschaften nach und nach verdrängt“, sagt Detlef Kolligs. „Die Truppenübungsplätze wurden zum Glück nie intensiv landwirtschaftlich genutzt, doch über den Niederschlag gelangen die Nährstoffe auch hierher.“ Freie Sandflächen wichen Moosen, statt mit Flechten bewachsen sind Pfähle mit einem glitschigen, grünen Belag überzogen.
Die ursprüngliche Flora und Fauna konnte sich auf den militärisch genutzten Übungsplätzen am besten halten. Durch Panzerfahrten und gelegentliches Feuer hielten die Soldaten ganz nebenbei die Landschaft offen. Seitdem die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein einen Großteil der Offenlandflächen pachtet, arbeitet das Team rund um Antje Walter und Detlef Kolligs beständig am Erhalt des Artenreichtums.

Nimmer satt

Ziel der Naturschützer ist es, dass insbesondere der Goldene Scheckenfalter im Stiftungsland leben kann. In Schleswig-Holstein einst weit verbreitet, ist der Tagfalter mittlerweile in vielen Teilen Deutschlands ausgestorben. Der Scheckenfalter stellt sehr hohe Ansprüche an seinen Lebensraum. Sein Vorkommen weist darauf hin, dass der Standort auch für viele andere Insektenarten ebenfalls geeignet ist.
Schon die Raupen des Falters sind sehr wählerisch. Zwar sind sie nimmer satt, doch in Norddeutschland wächst nur eine einzige Pflanze, die ihnen mundet: der Teufelsabbiss.
Antje Walter und Detlef Kolligs wollen eine in Vorjahren bepflanzte Fläche kontrollieren. Sie klettern über ein Gattertor. Galloway-Rinder beobachten sie dabei neugierig. Dafür unterbrechen sie ihre Tätigkeit kurzzeitig, der sie doch für gewöhnlich so gewissenhaft nachgehen. Sie sind zuständig für die Landschaftspflege. Die Rinder und andere robuste Haustierrassen wie Burenziegen oder Exmoor-Ponys machen sich über Pflanzen her, die die meisten Nutztiere heutzutage nicht mehr anrühren. Doch Teufelsabbiss ist selbst für die Hartgesottenen nicht lecker.
So lugen zwischen kurzgefressenen Gräsern die dunkelgrünen Blätter des Teufelsabbiss hervor. Die Naturschützer suchen nach ersten Lebenszeichen des Scheckenfalters. „Es könnte sein, dass sie heute sonnenbaden“, sagt Antje Walter und hält Ausschau nach den reiskorngroßen schwarzen Raupen des Scheckenfalters. „Sie brauchen Wärme, um die giftigen Inhaltsstoffe verdauen zu können.“ Und tatsächlich: Schmetterlingsexperte Detlef Kolligs entdeckt unzählige Raupen auf ihrer Leibspeise. Ab März bis zu ihrer Verpuppung Anfang Mai fressen sie sich durch den Teufelsabbiss. Nach zwei bis drei Wochen schlüpfen die orange-goldenen Schmetterlinge.
Seit 2010 wurden sechs Projektgebiete in Schleswig-Holstein für die Ankunft des Goldenen Scheckenfalters vorbereitet. Die Wiederansiedlung begann in Detlef Kolligs Gewächshaus: „Über die Jahre waren 80.000 Raupen bei mir zu Besuch.“ Im Sommer 2014 flogen die Falter erstmals blühende Nektarpflanzen wie Arnika und Schwarzwurzel an. In diesem Jahr wird die vierte Generation fliegen. Zwar wird das Projekt 2018 abgeschlossen, mithilfe der vierbeinigen Landschaftspfleger bewahren die Naturschützer die wertvollen Lebensräume des Tagfalters aber weiterhin.

Ein paar Wilde

Wie dem Goldenen Scheckenfalter geht es zahlreichen Schmetterlingsarten. Die Rote Liste Schleswig-Holsteins stuft 70 Prozent der Tagfalter als ausgestorben oder akut gefährdet ein. Grund dafür sind die Zerstörung von Lebensräumen und Gifteinsatz. Den hohen Ansprüchen des Scheckenfalters wird man im eigenen Garten wohl nicht gerecht werden können. Er braucht eine Spezialbetreuung, die nur Profis wie Antje Walter und Detlef Kolligs ihm geben können. Einige seiner farbenprächtigen Artgenossen können aber in einen giftfreien, naturnahen Garten mit wilden Ecken gelockt werden.
Entsprechend der Lage, Größe und Bodenbeschaffenheit des Gartens lassen sich unterschiedliche Biotope realisieren. Etwa eine Staudenrabatte, eine duftende Kräuterspirale oder eine Hecke mit Wildsträuchern. Ein Blütensaum aus heimischen Wildblumen wie Bocksbart, Natternkopf oder Wilder Majoran lockt Falter an. „Diesen Blumen sieht man natürlich an, dass sie ein paar Wilde sind“, sagt Antje Walter und empfiehlt Gartenbesitzern, die es etwas kultivierter mögen, beispielsweise Skabiosen. „Sie machen viel her und Falter fliegen auch sie gerne an.“

Mag nicht jedes Blatt

Die Pflanzen sollten so zusammengestellt werden, dass vom zeitigen Frühjahr bis zum späten Herbst immer etwas blüht. Im Frühling liefern Blaustern, Schlüsselblume und Margerite ausreichend Nektar, im Herbst Purpur-Fetthenne oder Glattblatt-Aster. Das Nektarangebot im Garten kann noch so reichhaltig sein, den Raupen der Schmetterlinge nützt das nichts. Doch ohne Raupen gibt es keine Schmetterlinge im Garten! Sie haben es auf Blätter einheimischer Pflanzen abgesehen. Nun mag bekanntlich nicht jede Raupe jedes Blatt. Die Raupe des Schwalbenschwanzes lebt auf der Wilden Möhre oder Petersilie, Raupen von Schachbrett und Ochsenauge ernähren sich von Gräsern und die Larve des Mittleren Weinschwärmers hat sogar eine exotische Futterpflanze auf ihrem Speisezettel: Sie frisst auch die Blätter der Fuchsie.
Im Garten sollte es verwilderte Ecken geben. Brennnesseln, Disteln und andere „Unkräuter“ sind für die Raupen vom Kleinen Fuchs, Distelfalter und Landkärtchen ein Schlaraffenland. Besonders wichtig für Schmetterlinge sind heimische Sträucher und Bäume. Sie bieten Nahrung, Rastplatz sowie Schutz vor Regen, Wind und Kälte. So leben die Raupen des Zitronenfalters beispielsweise auf Kreuzdorn oder Faulbaum. Neunzig Prozent der Blätter exotischer Pflanzen bleiben unangetastet, weil sie für Raupen ungenießbar sind.
Das heißt aber nicht, dass Schmetterlingsfreunde gänzlich auf exotische Pflanzen verzichten müssen. Wichtig ist, dass die Blüten nicht gefüllt sind, damit die Falter leichten Zugang zum Nektar haben. Phlox und Blaukissen gehören beispielsweise zu den nicht heimischen, aber dennoch gern angeflogenen Nektarspendern. Ebenfalls beliebt ist Sommerflieder. An warmen Tagen sieht man Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs oder Admiral in Scharen auf dem auch als Schmetterlingsflieder bezeichneten Strauch.

Starr vor Kälte

Ein Schmetterlingssommer ist schön. Doch dafür müssen die Falter erst einmal die kalte Jahreszeit überstehen. Den Garten insektenfreundlich auf den Winter vorzubereiten, heißt also nicht, sämtliches Laub und Zweige zu entfernen. Viele Schmetterlinge überdauern die Kälte verpuppt an solchen Plätzen. Andere wiederum, wie Kleiner Fuchs oder Tagpfauenauge, suchen sich ein geschütztes Plätzchen in Geräteschuppen oder auf Dachböden. Wenn sie im Frühling aus ihrer Kältestarre erwachen, gelangen sie durch geöffnete Fenster und Dachluken wieder hinaus.
Einige Schmetterlingsarten wie Admiral und Distelfalter wandern im Herbst nach Süden. Für den weiten Flug tanken sie Energie an Fallobst und den letzten Blumen. Mit einer Mischung aus Malzbier und Honig oder mit Zucker gesüßtem Rotwein kann man eine eigene „Faltertankstelle“ in einer flachen Untertasse eröffnen.
Die öde Landschaft in Nordoe ist dank der Naturschützer Heimat vieler seltener Tier- und Pflanzenarten. Im Garten schafft man selbst ein Paradies für Insekten. Nach getaner Arbeit kann man das bunte Treiben vom Lieblingsplatz aus beobachten – zu dieser Jahreszeit sieht man die Schmetterlinge auf Frühblühern, im Sommer auf Flieder & Co. und im Herbst an der Faltertankstelle.

Mehr Informationen zum LIFE-Projekt
„Aurinia“ unter www.life-aurinia.de und
www.stiftungsland.de
Eine Bauanleitung für eine Kräuterspirale findet sich unter www.garten-pflanzen.info.

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